#49 Alt werden ist ein Privileg
Meine Nichte ist letztens 18 Jahre alt geworden. Damit bin ich nun genau drei Mal so alt wie sie. Tut das weh? Nein! Als sie – einen Tag nach meinem Geburtstag – auf die Welt gekommen ist, war ich genau doppelt so alt wie sie jetzt ist und habe mir darüber Null Gedanken gemacht.
Aber in den letzten Jahren setze ich mich immer wieder bewusst mit dem Alter und dem Altern auseinander. Durch Wechselbeschwerden, wie recht heftige Stimmungsschwankungen und natürlich die berüchtigten Wallungen, „musste“ ich in das Wechselthema eintauchen. Ich habe einige Bücher dazu gelesen, etliche Podcasts gehört und natürlich ganz viel mit Freundinnen darüber geredet. Das hat es für mich leichter gemacht; informiert zu sein, hilft.
Wie sehr die Themen Wechseljahre und Altern mit Tabus und mit Angst behaftet sind, merke ich auch immer wieder in Kund:innengesprächen.
Vor zwei Jahren habe ich aufgehört, mir die Haare zu färben. So oft wie in der Zeit danach bin ich in meinem ganzen Leben nicht auf meine Frisur angesprochen worden. Viele fanden es gut und meinten, es stehe mir. Manche nannten es mutig. Andere meinten, sie würden sich das nicht trauen. Ein Bekannter findet, mit grauen Haaren sähe man immer älter aus. Ich kann dazu nur sagen, dass ich mich erstens meistens wohl fühle mit meinen grauen Haaren. Und zweitens ich auch mit gefärbten Haaren so alt wäre, wie ich nun einmal bin. Und ob andere denken, ich wäre älter, als ich bin, ist mir ehrlich gesagt herzlich egal. Denn es macht keinen Unterschied.
Einer der Vorteile des Älterwerdens ist tatsächlich eine ganz neue Form der Gelassenheit und dass es einer egal ist, was andere denken.
Wenn mich eine Wallung überfällt, rede ich ganz offen darüber. Verheimlichen kann man das sowieso eher nicht. Von jüngeren Frauen habe ich als Reaktion darauf schon öfter gehört: „Ja, davor fürchte ich mich jetzt schon.“ Ich kann dann immer nur antworten, dass es nichts zu fürchten gibt. Älter werden wir von ganz alleine Tag für Tag. Und ob sich Wechselsymptome einstellen oder nicht, können wir nicht beeinflussen. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich nur betonen, dass ich es wichtig finde, sich zu informieren. Dann verschwindet die Angst von selber.
Die Gynäkologin Sheila de Liz hat mit „Woman on Fire – Alles über die fabelhaften Wechseljahre“ ein Buch geschrieben, das lustig, lehrreich und locker ist. Bücher wie dieses enttabuisieren das Thema und nehmen die Angst. Wer weiß, was passieren kann und warum, kann sich leichter darauf einstellen und gegebenenfalls reagieren.
Als dann heuer das Buch „Morden in der Menopause“ von Tine Dreyer erschienen ist, empfand ich es fast als Pflichtlektüre. Und ich habe es nicht bereut, wie ich auch in einer Blogempfehlung geschrieben habe: „Ein bisschen durchgeknallt – so fühlen sich die Wechseljahre manchmal an, wie ich grad am eigenen Leib verspüre. Ein bisschen durchgeknallt ist auch dieses Buch – und gerade deshalb lesenswert.“
Dass das Thema Altern gerade in der Gesellschaft ankommt, beweisen auch zwei weitere Neuerscheinungen, die mich massiv beeindruckt haben:
Einerseits das herrliche Buch „Altern“ von Elke Heidenreich. Oh Mann, was ist das für eine umtriebige und auch weise Alte. Ja, das darf man sagen. Sie ist schließlich 81 Jahre alt. Es macht Spaß, das Buch zu lesen. Es macht Hoffnung und zeigt auf, wie zufrieden und lebenswert das Alter sein kann. Dieses Buch hat die Menschheit gebraucht!
Großartig ist dazu auch die Podcast-Folge #77 „Lust aufs Alter“ des Frauenstimmen-Podcasts von Ildiko von Kürthy, in dem sie mit Elke Heidenreich offen und frei redet.
Und dann habe ich noch ein Buch schon vorab lesen dürfen, das Ende Juli 2024 erscheinen wird. „Mitte des Lebens“ von der Schweizer Philosophin Barbara Bleisch. Aus der Verlagsinfo: „Philosophisch fundiert und voller Bezüge aus dem Alltag denkt Barbara Bleisch nach über Lebenserfahrung, Leichtigkeit und Gelassenheit.“ Das ist so gut zusammengefasst, dass ich nur noch eines ergänzen kann: Es ist eine absolute Bereicherung, dieses Buch zu lesen.
Ganz neu ist auch das Buch „Die Veredelung der Zeit“ von Arnold Mettnitzer – was für ein schöner, schöner Titel. Ich habe es zwar noch nicht gelesen, aber es liegt schon daheim bereit. Das Altern wird mich ja hoffentlich die nächsten paar Jahrzehntchen beschäftigen, also wird sich auch die Zeit finden, dieses Buch (und viele, viele andere) zu lesen.
Mein Bruder sagt immer, alt werden ist ein Privileg. Recht hat er! Die Alternative wäre gewesen, jung zu sterben. Und das haben wir zum Glück verpasst.