Tuts weh beim Lesen?

Literatur muss nur dann weh tun, wenn man sonst dabei einschläft.

Johannes Kößler

Es steht mir bis hier mit den, meist Männern, die behaupten, etwas müsse, und vor allem, weh tun. Etwas müsse schmerzen, damit es wirkt. Warum? Woraufhin? Was oder wer sagt das? Ein Mann sagt das.

Weder muss Literatur, noch weh tun und wert sein, muss sie schon gar nichts. Sprache ist nicht gleich Mathematik, zwei Mal Minus ergibt auch dann kein Plus, wenn die Behauptung bedeutungsschwer und doppelt negativ aufgeladen ist.

Da schreibt man, 1000 Seiten und mehr und dann gewinnt man trotzdem keinen Preis. Das ist – Verzeihung bitte – natürlich gschissen. Da darf man sich schon ärgern und ein bissl schimpfen. Dann noch die Entscheidung mies machen, einfach weils raus muss.
Und dann doch, endlich; jetzt haben sie es begriffen. Es ist zwar nicht der ganz der große Preis, aber ok. Bier und Wein, auf dem Tisch tanzen, die andern sind eh blöd und vielleicht wird das Werk ja auch ins Schwedische übersetzt, mal schauen. Das schreit nach einer gewichtigen Meldung!

„Literatur muss weh tun, sonst ist es nichts wert.“ sagt Bayerischer Buchpreis-Träger Clemens Meyer. Na Oida, sag ich, da braucht wer aber dringend das Vamperl.

Das sind, für jemanden, der noch kurz zuvor so gar keinen gesunden Umgang mit Kränkung an den Tag gelegt hat, große Töne.

Die Betonung, die Versteifung auf den Druck und den Zwang, auf den Schmerz sind altbekannt und es hängt mir zum Halse raus. Wer nicht hören will, muss fühlen; Vernunft einbläuen; in den Schmerz hinein trainieren; etc., etc. Dieser Zugang zu Kunst, zur Pädagogik, zum Lernen, zur Weiterentwicklung erdrückt und erstickt jedes selbstständige Aufkeimen, jeden neuen Trieb.

Ein Widerwillen gegen solche Triebe ist insofern nachvollziehbar, weil man sich um Aufkeimendes kümmern muss, man muss für es Sorge tragen, zärtlich, vorsichtig, immer da sein und sich zurücknehmen. Da weiß man erst einmal vielleicht auch gar nicht, was das überhaupt sein soll. Ob das durchhält. So etwas Neues hat vielleicht sogar einen eigenen Willen, hat eine eigene Vorstellung, davon, was es sein will; oder auch nicht. Das macht Angst und klingt anstrengend; ist es meistens auch. Wie viel einfacher und männlicher ist es da, in den Schmerz hinein zu trainieren, bis die Schwarte kracht.

Für jemanden, der sich gerade unter Qualen die Schwarte aus dem eigenen Leib geschnitten hat, ist es vielleicht schwer vorstellbar und noch schwerer auszuhalten, dass es auch anders geht. Jetzt liegt die Schwarte da, gewichtig und endlich ausgezeichnet. Und jetzt?

Julia sagt, Literatur muss nur dann weh tun, wenn man Schwierigkeiten hat, dabei wach zu bleiben.

Von Literatur hab ich wenig fachliche Ahnung (vom Hirnwichsen – Entschuldigung, bitte – schon, wenn ich mir das alles nochmal durchlese), aber das folgende trau ich mir sagen:

Literatur muss nicht die eigene schmerzvolle Erfahrung auf andere projizieren. Sie muss nicht aufregen, sie muss nicht weh tun, sie muss nicht die Wahrheit sagen und sie muss nicht quälen.

Literatur darf weh tun und wütend machen. Sie darf aufbrechen und stören. Sie darf aber auch unterhalten. Sie darf wohltun und trösten und neue Ideen pflanzen. Literatur darf erfinden, darf gut sein und ehrlich und sanft, sie darf aufwühlen und spinnen, sie darf genau, falsch und ungenau, berührend, heiß und kalt, sie darf außer- und gewöhnlich sein. Sie darf können, funktionieren oder nicht. Sie muss nicht.

Literatur muss nicht.

Literatur muss auch nicht gefallen; dürfen muss sie.

Was Literatur wert ist, bestimmen die Leserinnen und Leser selbst, mit jeder Seite und jedem Zeichen, das sie einsaugen und verdauen.

Wenn etwas so weh tut, dann ist es möglicherweise Zeit, zu überdenken, was immer schon so gewesen ist. Dann ist es vielleicht Zeit neue Saiten an-, und, neue Seiten aufzuschlagen.

Neue Seiten findet Ihr in unserer Buchhandlung. Seitenweise Vergnügen wünschen wir Euch damit!

JK




Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Schlagwörter:

× Schreib uns auf Whatsapp!