Trockenes Feld
von Kurt Palm
Es ist eine der spannendsten literarischen Erfahrungen am Leben und an den Lebenserfahrungen anderer Menschen teilhaben zu dürfen. Nun ist Kurt Palm, zweifelsohne, ein alter weißer Mann (bitte entschuldige Kurt!), nichtsdestotrotz einer, der die Grenzen dessen, was unter dieser Bezeichnung verstanden wird, nicht einmal ignoriert.
Als scharfer Denker, als reflektierter und intelligenter Regisseur, als, seinem Publikum gegenüber, liebevoller und seinen Figuren gegenüber, gnadenloser Erzähler, erzählt er gewitzt, was er erzählen will, auch wenn es dabei nichts zu lachen gibt. Doch das ist mir bei Kurt Palm noch nie untergekommen. Denn immer, wenn ich etwas von ihm Geschriebenes lese, empfinde ich – zumindest bilde ich mir das ein – auch, wenn es tieftraurig sein sollte, die Lust, die er am Schreiben, am Erzählen, am Formen der Sprache empfunden haben mag.
„Trockenes Feld“ ist – wobei mir wieder im Detail klar wird, warum ich den Mann so mag – keine Metapher (und wenn doch, hab ich sie nicht verstanden), sondern der Name des Dorfes, aus dem Kurt Palms Eltern vertrieben wurden, 1943 mussten sie „Suhopolje“ im ehemaligen Jugoslawien verlassen. Gespickt mit Fragmenten aus Schulaufsätzen und Tagebucheinträgen erzählt er Erinnerung, wie sie eben ist. Subjektiv, sprunghaft und doch stringent. Wer Lebenserinnerungen gradeaus erzählt, beschreibt sie entweder von außen oder lässt zu viel aus oder beides. Wer behauptet, als Erzähler die Balance auf dem Seil der Erinnerung halten zu können, zwischen Salti, Schwüngen und Purzelbäumen, der hat es wahrscheinlich noch nie probiert. Kurt Palm behauptet gar nichts, er macht es einfach und das Kunststück gelingt. Und wie bei einem erfahrenen Artisten, sieht es kinderleicht aus und ist doch das faszinierendste und spannendste Mirakel, das zu beobachten man das Glück haben kann.
Wenn der Zirkus vorbei und die Vorstellung zu Ende ist, Tante, Onkel, Eltern, Geschwister, Geschichten erzählt und Vermutungen wild jongliert sind, wenn man geweint hat, vor Glückseligkeit, weil das Kunststück gelungen und wieder gelungen ist, das Vor- und Zurücktanzen auf dem Drahtseil, dann blickt er dich nochmal an, der Artist, der Künstler. Blickt dir in die Augen und lässt sich fallen. Kurt Palm ist ein wundervoll berührendes, klares und durch und durch lebendiges Erinnerungsbuch gelungen. Wir dürfen erkennen, wo seine Bücher und die bisher erzählten Geschichten gewachsen ist, wo seine Sprache, seine Interessen herkommen, sein Schmerz und seine Liebe. „Trockenes Feld“ ist ein Buch für das ich dankbar bin, für das wir dankbar sein dürfen, so ehrlich und leicht, so berührend, lustvoll und schmerhaft klar, wie ein zu Hause nur sein kann.
Leykam 2024
978-3-7011-8343-2
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