That´s Life in Dystopia
von Johanna Grillmayer

Es ist endlich passiert: Der Weltuntergang ist da oder zumindest der Untergang der Gesellschaft, wie wir sie kennen. Zahlreiche, wenn nicht die meisten Menschen verschwinden von einem Moment auf den anderen, aber wo wir von Katastrophenfilmen gewohnt sind, sofort in die Globale zu wechseln und als Mauserl mitzubekommen, was der amerikanische Präsident in dem Moment macht, was der Geheimdienst und das Militär denken und durch welchen genialen Trick, wir Menschen das Verschwinden aufhalten können oder – mithilfe von Superkraft – sogar rückgängig machen können (siehe „Superman – Der Film“ aus dem Jahr 1978), da gehen wir im Debütroman von Johanna Grillmayer ins Kleine, ins Realistische, ins ländliche Niederösterreich, ins Detail.
Eine Handvoll Männer und Frauen verstecken sich vor dem Phänomen gemeinsam im Weinkeller und überleben, warum weiß niemand – woher auch. Nach zwei bis drei Wochen, so genau weiß das keiner, kommen sie daraus hervor und machen sich auf, um weiterzumachen, weil was sonst.
Draußen liegt das Zeltfest, auf dem sie zuvor gefeiert haben, verlassen da. Feiern kann da niemand mehr, nicht einmal Leichen sind da. Die kleine Gruppe und um Marek, Jola und Jakob wandert los. Gespenstisch und feindlich scheint die Umwelt, jetzt wo niemand oder nur mehr Vereinzelte, Vereinsamte oder Verrückte übriggeblieben sind. Zuflucht und Unterkunft finden sie, nach kurzer Zeit der Wanderschaft, im Hotel Sonnenhof. Es gibt eine Solaranlage, eine Scheune, einen Holzofen und Jakob, ehemaliger Berufsschullehrer, kann damit sogar der vorhandenen Elektronik kurzzeitig Leben einhauchen.
Als sich wenig später das erste Kind anbahnt, da ist Marek, der Vater, schon längst unterwegs, um Ausschau zu halten, nach weiteren Überlebenden. 6 Monate sollte er weg sein und Jola, in mehr oder weniger guten Umständen erwartet seine Rückkehr noch vor der Geburt des Kindes. Ali, die zweite Frau der Gruppe, steht ihr zur Seite, ebenso wie die Männer. Doch als das Kind zur Welt kommt, ist von Marek noch immer keine Spur zu sehen.
Johanna Grillmayer erschafft in ihrem Debüt und mithilfe ihrer handwerklich routinierten, stabilen und unaufgeregten Erzählkunst ein Schaubild einer Gesellschaft, die an ihre Basis zurückgeworfen wird. Die ersten zehn Jahre dieser kleinen Gruppe werfen ohne jedes Pathos all jene Fragen auf, die wir uns viel zu selten stellen. Was ist unsere Gesellschaft? Wofür brauchen wir die Menschen um uns und wozu brauchen sie uns? Warum all das aufeinander Schauen und Zusammenhelfen? Wie erklärst du Kindern Geld, wenn das nie ein Thema war? Woher lernst du, was du brauchst, wenn Google nicht mehr da ist und was bringt das Überleben eigentlich, wenn alles sinnlos scheint? Meistens ist aber keine Zeit für Fragen, denn dazu gibt es zu viel zu tun.
Das im Titel angeführte Dystopia ist meiner Meinung nach der einzige Fehler an diesem grandiosen Roman, der so handwerklich sattelfest und ruhig daherkommt, als wäre er von einer Schriftstellerin mit 60 Jahren Berufserfahrung verfasst worden. Stilsicher erzählt die Autorin, was wir sind, ohne all die Menschen um uns, von denen so viele so sicher sind, dass wir sie gar nicht brauchen. Ein Meisterwerk, ein Lieblingsbuch und ein faszinierender Kleinkosmos. Endlich ein Weltuntergang ohne Atombomben, Zombies, Aliens oder genmanipulierte Lamas. „That´s Life in Dystopia“ ist beruhigend, unaufgeregt und spannend, voll von sympathischen, beeindruckenden Menschen, die mich sogar im Traum nicht allein gelassen haben. Ist ein Überleben im schlimmsten Fall möglich? Wahrscheinlich schon, aber nur miteinander. Gleichauf mit „Fremde Federn“, „Oben Erde, unten Himmel“ und „Nincshof“ mein Lieblingsbuch dieses Jahr und definitiv ein weiteres Lesen wert.