#Sonderbeitrag zum Vergessen

#Sonderbeitrag zum Vergessen
Johannes über „Nincshof“

Eigentlich ist es etwas Schlimmes, aber eigentlich auch recht entspannend, dass das geht. Aber ist es überhaupt notwendig? Nincs: Genaues weiß man nicht. „Nincshof“, einmal Lobeshymne bitte!

Haben wir als Menschen einen beschränkten Speicherplatz? Ein Pentabyte, das sind 1000 Gigabyte (sagt der swr www.swr.de/wissen/1000-antworten/wie-viele-gigabyte-hat-unser-gehirn-100.html). Aber auch das ist nur eine Schätzung und überhaupt, so wie es ausschaut, ist dazwischen auch noch Platz und ein paar Verknüpfungen gehen immer noch. Und außerdem haben wir Menschen noch immer nicht ganz durchschaut, wie das genau ist mit der Intelligenz. James Bridle schreibt zum Beispiel in seinem großartig gemütlich den Pfad zur Unfassbarkeit dahinspazierenden Buch „Die unfassbare Vielfalt des Seins“ über das, was menschliche und das, was sogar künstliche Intelligenz nicht begreifen kann. Ein Pilz, zum Beispiel, der verschiedenste Wegfindungs-Problemstellungen geschmeidiger lösen kann als ein Computer oder eine künstliche Intelligenz. Dabei ist Schwammerl im Wienerischen jetzt nicht unbedingt ein Kosewort für ein Wesen mit ausdruckstarker Intelligenz. Kann aber natürlich auch sein, dass der, der Schwammerl sagt, selber nicht mit der Fähigkeit der Bioluminiszenz gesegnet ist – intelligenztechnisch gesagt: keine Glühwürmchen im Hotel zum Oberstübchen, sozusagen.

Aber im Endeffekt heißt das mehr oder weniger, dass wir gar nicht genau wissen, ob wir überhaupt superintelligent sein können, was das bedeuten würde und ob wir überhaupt fähig sind unser volles Potenzial auszunutzen. Ganz zu schweigen davon, was das für unsere Vergesslichkeit heißt. Weil warum können wir dann vergessen, wenn der Speicherplatz eh unbegrenzt ist, wenn wir eh nicht so alt werden können, dass wir den ganzen Kopf anfüllen mit unnötigem Zeug, das dann eh wieder weg ist, weil Staub?

Warum? Weil wir vergessen müssen oder vielleicht sogar wollen. Schlimme Sachen vielleicht oder Sachen, über die wir nicht nachdenken möchten. Wie die Emails, die sich während des Urlaubs anhäufen. Weil, wenn wir wirklich vergessen könnten, warum können wir uns dann manchmal wieder erinnern?

Im Urlaub hab ich mich von den Emailshaufen zum Beispiel abgelenkt mit dem neuen Buch von Johanna Sebauer, einer Debütautorin aus einem kleinen Dorf im Burgenland. Sie schreibt darüber – wie eine Lobe, wie ein Moser für Erwachsene – dass die Bewohner des kleinen Dorfes Nincshof so glücklich mit ihrer dörflichen Situation sind, so zufrieden mit sich und ihrer Existenz am untersten Rand der Schnitzlrepublik und so übersättigt mit der Welt und ihren Ideen, ihren Vorstellungen, ihren depperten Regeln und Auffassungen von Steuern, Kriegen, Loyalitäten, Besatzungen und Konflikten, dass es ihnen reicht. Sie wollen vergessen werden. Von allen.

Das heißt: Orts- und Hinweisschilder abmontieren, Wikipedia-Eintrag löschen, Seiten aus der Burgenlandchronik in Eisenstadt rausschneiden und so weiter und so fort. Die Erna Rohdiebl ist dabei, der Sipp Sepp, der junge Valentin – gescheitert an der Bundeshauptstadt und dem Studium der Philosophie und dem Heimweh – und der Bürgermeister, der von einem Besuch der Partnerstadt in Belgien ein Souvenir in Form von Brechdurchfall mitgenommen hat. Oblivisten und Oblivistinnen nennen sie sich. Und die wollen ihre Ruhe. Die Wiener Familie, die da grade zugezogen ist, benamst Bachgasser Isa, Dokumentarfilmerin samt ziegenzüchtendem, italienischem Architektenmann und pubertierender Tochter, helfen da nicht unbedingt dabei.

Johanna Sebauer schreibt Mira Lobes Millimandl-Dorf neu, sie schreibt Erwin Moser für Erwachsene. Liebevoll, gescheit und witzig, so herrlich amüsant und vielschichtig, dass ich mir unzählige Zeilen, wie ein Zuckerl, von einem Eck meines Gehirns ins andere geschoben und mir überlegt hab, wo ich sie mir hintätowieren lassen könnte. Oder vielleicht lass ich sie mir auf ein T-Shirt drucken. Wie ging das Zitat nochmal, mit der Revolution? Ich habs vergessen. Macht nix.
Kann ich „Nincshof“ nochmal lesen?


Dumont 2023
978-3-8321-6820-9

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