#14 Es war einmal Brigitte Reimann!

#14 Es war einmal Brigitte Reimann!

Es startete mit meiner Großmutter. Zu einer Zeit als ich begonnen habe meine Nase von einem Buch ins nächste zu stecken, habe ich natürlich auch das Bücherregal meiner Oma geplündert. „Franziska Linkerhand“, „Ankunft im Alltag“, „Die Geschwister“ und „Hunger auf Leben“.

Als meine Oma Jahre später verstarb, wurden auch ihre Bücher aussortiert. Die Bücher, die ihr wohl nahe gingen, wurden behalten und fanden in dem Bücherregal meiner Eltern Unterschlupf. Dort hat Brigitte Reimann auf mich gewartet. Als ich dann endlich das erste Buch aufschlug und die ersten Zeilen las, wurde mir klar: Diese Frau schreibt mir aus der Seele!

Brigitte Reimann wurde am 21. Juli 1933 in Burg bei Magdeburg geboren. Sie war die älteste Tochter und stand ihren drei Geschwistern recht nahe.
Mit 14 Jahren erkrankte sie schwer an Kinderlähmung und verbrachte, völlig isoliert, ein halbes Jahr im Infektionskrankenhaus. In Isolation allein gelassen, wendete sie sich dem Schreiben und Lesen vermehrt zu. Es leistete ihr Gesellschaft in einer schwierigen und einsamen Zeit. Das Lesen und Schreiben sollte auch zukünftig Halt und Konstante in ihrem Leben bleiben.

In den darauffolgenden Jahren brachte sie sich mühselig das Gehen wieder bei. Ihr Bruder erzählte in einem Interview nach ihrem Tod, wie schwierig es für ihn als Bruder war, seine große Schwester, die gern laufend die Welt entdeckte, so eingeschränkt und kämpfend zu sehen. Es machte ihm Mut und es diente ihm sein Leben lang als Motivation.
Bereits 1948 schrieb sie ihr erstes Laienspiel für die Schulweihnachtsfeier. Ein Jahr später erhielt sie für jenes Stück den 1. Preis beim Ideenwettbewerb für Laienspiele an der Volksbühne der DDR. Kurze Zeit später wurden diese in Berlin gedruckt.  

Ihre Karriere als Schriftstellerin war bemerkenswert. Sie schrieb unzählige Romane, Erzählungen und Hörspiele. Wurde kritisiert, gelobt – von manchen regelrecht vergöttert. Als junge Frau so etabliert zu sein, war einerseits imponierend, wurde aber auch vielfach verurteilt.
1954 erlitt Brigitte Reimann eine Fehlgeburt. In mehreren Romanen (“Der Tod der schönen Helena“, “Die Frau am Pranger” und “Die Kinder von Hellas”), die in den darauffolgenden Jahren erschienen, verarbeitete sie den Schicksalsschlag. Auch der Selbstmordversuch, den sie überstand, prägte sie nachhaltig.
In diesen schweren Jahren passierte jedoch nicht nur Negatives, ihre Romane und Erzählungen wurden hoch gelobt und sie wurde außerdem in den Deutschen Schriftsteller*innenverband aufgenommen, wo sie 1963 Teil des Vorstands wurde.

Ihr Leben versuchte sie nach ihrem Ideal zu verbringen. Sie stand ein, für alles, was sich für sie falsch anfühlte, und kämpfte so gut wie ihr möglich war für ihre Werte und Weltvorstellungen. Politisch wie privat.

Brigitte Reimann heiratete viermal. Jeder Ehemann und jede Freundschaft, die sie über ihr Leben hinweg begleitete, waren zum richtigen Zeitpunkt für sie da und zum richtigen Zeitpunkt gelöst. Sie war eine Frau mit Meinung, Präsenz und mit einer Botschaft an die Gesellschaft.
Auch sonst kämpfte Brigitte Reimann an verschiedenen Fronten. 1968 erkrankte sie an Krebs. Neben Ihrer Krebserkrankung, die immer wieder Bestrahlungen, Krankenhausaufenthalte und jede Menge Kräfte beanspruchte, wurde Brigitte 1969 mit Rückenschmerzen ins Krankenhaus gebracht. Diese machten sie fast bewegungsunfähig. Zwischen immer wieder auftretenden Krankheitsschüben und Bestrahlungen arbeitete sie weiter am Linkerhand-Roman.

Schreiben blieb für sie egal in welchen Umständen immer eine Priorität! Es diente ihr als Möglichkeit zum Austausch mit der Außenwelt, die ihr so wichtig und lieb war. In der damaligen DDR gab es für sie viel zu viel zu sagen, um zu schweigen und wie wichtig das war, war ihr mehr als bewusst.
Ab August 1972 lag Brigitte Reimann kaum ansprechbar im Krankenhaus. Knapp ein halbes Jahr später erlag sie ihrem Krebsleiden. Bis zu ihrem Tod, am 20. Februar 1973, arbeitete sie hart an ihrem letzten Roman „Franziska Linkerhand“. Er erschien zwei Jahre später unvollendet, und ist nach wie vor einer der wichtigsten Romane der Nachkriegszeit.

Ich konnte es nicht fassen, als letzte Woche zufällig die neue Biografie „Ich bin so gierig nach Leben“ von Brigitte Reimann in meinen Händen lag. Das Buch schrieb Gansel Carsten, ein deutscher Literaturwissenschaftler und Hochschullehrer. Sein Bezug zu Brigitte Reimann ähnelte meinem und ich tauchte nach der ersten Seite in das Buch ein. Die vielen Seiten mögen im ersten Moment zwar viel erscheinen, jedoch fliegen die Zeilen beim Lesen davon. Ein Buch gesteckt voll mit dem Lebenswerk einer Frau, die genauso mit dem Leben kämpfte wie wir, sich vieles zu Herzen nahm und versuchte das Leben so lebensfroh und ausschöpfend zu leben, wie ihr möglich war. Viel bis jetzt unbekanntes Archivmaterial von zahlreichen Interviews mit Weggefährt*innen, gibt es zu lesen.
Ich freue mich jeden Abend ein Stückchen mehr von ihrem bemerkenswerten Leben, Beziehungen und Erlebnissen zu lesen!

Es war einmal“ ein Zitat von einer der besten Freundinnen Brigitte Reimanns: Veralore Schwirtz, Brief 30.03.72

Es war einmal eine höchst lebendige Frau, die zweimal ein Studium begann, zweimal den Hochschulen entlief, aus Rebellion gegen ihre Herren Lehrer, provisorisch Lehrerin wurde, während sie ihr erstes Buch schrieb (diese Frau am Pranger – Herrje, damals war ich beinahe noch ein Kind), eine Menge Männergeschichten hatte, eine Menge Dummheiten beging  die sie bis heute nicht bereut  viermal heiratete, kein Kind wollte  was sie heute ein bisschen bereut -, weil sie Schreiben für wichtiger hielt, und die Kneipen und Luxusbars, Hinterhofwohnungen und die Villen der Prominenz kennenlernte; es war einmal eine Schriftstellerin, die zu früh und zu viel Erfolg hatte, manchmal hungerte und manchmal wahnsinnig viel Geld verdiente, einen Haufen Orden bekam und so ziemlich alle Literaturpreise, die hierzulande verliehen werden, an eine große Sache glaubte und an einer Großen Sache zweifelte, […] kurzum: es war einmal, und es war gut so, und auch das Schlimme und Dreckige war in seiner Art gut. 

In diesem Sinne möchte ich mit einem Danke diesen Beitrag beenden. Danke an die Großmütter, die sowohl mich als auch diesen Autor der Biografie in das Leben und Werk von Brigitte Reimann geführt haben. Ein Danke an Brigitte Reimann, die ihr Leben so voll und so aufregend gelebt und dies in ihren Geschichten geteilt hat. Die nie aufhörte ihre Meinung kundzutun und nie aufhörte ihre Gedanken und Gefühle aufs Papier zu bringen. Ihre Bücher und ihr Leben inspirierten mich dazu, zu mir selbst zu stehen und den Mut zu fassen zu schreiben und zu sagen, was in meinem Herzen und in meinem Kopf ist.

– Eva


Aufbau Verlag 2023
978-3-351-03964-6

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