Johannes‘ Jubiläumsrede zum 10. Geburtstag der Seeseiten Buchhandlung
Johannes Kößler
Sven Regener schreibt in einem meiner Lieblingsbücher „Magical Mystery – die Rückkehr des Karl Schmidt“ folgenden Satz: „Die Zukunft ist eine [hier Kraftausdruck Ihrer Wahl einsetzen]. Man weiß nie, womit sie als nächstes um die Ecke kommt.“
Eine Sache, die um die Ecke gekommen ist, war 2007 Bettina in der ÖBV Buchhandlung, die mich während der Arbeit, ich hoffe, du verzeihst, in der Buchhandlung gefragt hat, ob man bei der Bluse, die sie anhat ihren Busen zu sehr sieht (sie hatte sich gerade für ein Date fertiggemacht). Ich werd‘ heute noch rot, wenn ich dran denk. Und das war in einer Traditions-Buchhandlung, in der der damalige stellvertretende Filialleiter der Meinung war, dass Taschenbücher keine Literatur sind. Mit derselben Unverfrorenheit und Furchtlosigkeit hat sie mich 7 Jahre später gefragt, ob ich mit ihr eine Buchhandlung aufmachen will. Die ganze Geschichte ist voller Veränderungen, aber das meiste kennt ihr, ihr wart dabei.
Ich stimme Bettina voll und ganz zu, Veränderungen sind immer eine Chance. Mich persönlich macht das immer etwas nervös. Um ehrlich zu sein, ich pfeif‘ mich immer bis zum Kragen an. Irgendwann im Laufe der letzten zehn Jahre, zwischen Corona und der ich-weiß-nicht-wievielten SVS Nachricht, hab‘ ich mir – rein aus Sicherheitsgründen – einen für andere wahrscheinlich nervigen, aber für mich entspannenden, Petzimismus zugelegt. Weil erstens sind wir in Wien und zweitens kann ich mir dann einreden, dass, wenn ich mit dem schlimmsten rechne, alles, was mich überrascht, nur gut sein kann. Irgendwo in dieser Logik liegt ein Hund begraben, ich bin nur noch nicht ganz draufgekommen, wo. Dass man mir meine Angst nicht ansieht, sprich, dass ich nicht, die ganze Zeit in einer Ecke sitze und herumkeife vor lauter Panik (bitte keine Kommentare vom Team jetzt), das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass Bettina nicht so ein Angsthase ist, wie ich. Ein anderer Grund sind Geschichten. Bücher, die uns erzählen wie Wahlen funktionieren, warum kleine Schneckenhäuser besser sind als große, was passiert, wenn ein Schaf einen Wolfspelz anzieht und warum, und was eine Prinzessin macht, die ein Schokocroissant will, nachdem sie hunderte von Jahren geschlafen hat. Geschichten davon, wo wir sind und wo wir hinwollen, weil wir da noch nie waren. Geschichten von Menschen, die alles verloren haben, alles gefunden haben und dann doch was anderes gemacht haben. Geschichten von einem Bub aus Grinzing, Geschichten von der Liebe eines Klavierträgers und davon, wie wir den Tod besiegen. Und dann gibt es da noch etwas, das meiner Meinung nach am allerbesten hilft, gegen Angst, zumindest bei mir, und das sind andere Menschen. Wir können natürlich auch ziemlich beängstigend sein, aber, bevor ihr mir jetzt widersprecht, bitte ich euch um eines: Schaut euch um! Links, rechts, oben unten, vorne hinten, da überall rund um euch. Wir alle sind andere Menschen. Die ganze Zeit, nicht nur die letzten zehn Jahre.


Das sind zuerst einmal kleine Menschen. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren über 850 junge Menschen hier in der Buchhandlung. Menschen, denen wir erzählen durften, wie ein Buch entsteht, wie eine Buchhandlung funktioniert, was ein Verlag, was eine Autorin macht, denen wir Geschichten erzählen durften, siehe oben. Wenn man das hochrechnet, waren das in den letzten 10 Jahren – Corona ausgenommen, und da haben wir übers Internet vorgelesen – über 12000 Kinder und Jugendliche, allein bei den Schulveranstaltungen am Vormittag und den Kinderveranstaltungen am Samstag. Wie soll man bei so blitzgescheiten, kreativen, wilden, beeindruckenden, fantasievollen und über alle Maßen einzigartigen Menschen ordentlich Angst haben? Und dann sind da noch unzählige geduldige, engagierte und unermüdliche Pädagoginnen und Pädagogen, Buchhändlerkolleginnen, Kulturschaffende, Verlagsmenschen, Politikerinnen und Politiker, unsere Familien und Freunde.Dann sind da die Autorinnen und Autoren, die zu uns kommen. In den letzten Jahren waren das unzählig viele auch wieder einzigartig liebe, verständnisvolle, beeindruckend gescheite eloquente Menschen, durch und durch. Im nächsten halben Jahr werden das unter anderem Milena Michiko Flasar, Johanna Grillmayer, Dirk Stermann, Beatrice Frasl, Beate Maly, Margit Auer, Nina Horaczek und Doris Schmidauer sein.
Dann sind da Adrienne, Alex, Anna, Anna, Annette, Bettina, David, Destina, Elias, Ellen, Emanuel, Eva, Evelyn, Felix, Ilka, Kathi, Lara, Lena, Peter, Rudi, Walter, Silvia, Sebastian, Silvia, Ute, Iris, Emma, Daniel, Gabi, Norbert, Lilla, Lilo, Mark, Karin, Brigitte, Alexandra, Astrid, Erik, Karin, Gabi, Norbert, Alina, Jana, Gabriel, Ernst, Nicole, Marina, Eva, Patrick, Hilde, Oliver, Marina, Christian, Micky, Natascha, Nana, Denise, Petra, Angi, Werner, Vanessa, Günther, Max, Dom, Günther, Gerda, Pia Maria, Nicole, Melanie, Martin, Toni, Paula, Maya, Valentin, Frida, Luise, Luisa, Uli, Kristina, Camillo, Denis, Ursi, Bernhard, Gunther, Helga, Andi, Janis, Andrea, Reinhard, Erika, Lilith, Jojo, Bernhard, Elisabeth, Frida, Jakob, Luisa, Maya, Adele, Kerem Malik, Mia, Amari, Simon und Anna und den Lesehexenmamas und Papas, Paula, Emil, Nora, Alexandra, Barbara, Mille, Christian, Janine, Josephine, Jonathan, Karl, Tanja, Steffi, Maria, Jakob und Julia.
Und dann seid da noch ihr: Ihr, die ihr lest. Von Familien, von Ländern, von Menschen, von Schicksalen, Ideen, von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigen und sogar von Dingen, die es nur gibt, weil ihr daran denkt. Dank Euch ist es gelungen einen Ort zu schaffen, an dem wir uns Zeit nehmen dürfen, an dem ein Buch in der Hand genügt, (bitte nicht falsch verstehen, wir wollen natürlich, dass ihr heute mit prall gefüllten Sackerln heimgeht), damit es plötzlich sehr laut oder sehr still wird. Einen Ort, an dem ein „WIR“ wichtiger ist, als Angst, heller ist, als alles, was uns finster vorkommt. Ich muss mir, wenn ich ehrlich mit mir selber bin und über all das nachdenke, eine Frage stellen: „Warum hab‘ ich überhaupt Angst?“ Die Antwort ist einfach und kann nur lauten „Weil das hier, die Seeseiten Buchhandlung, die Geschichten in ihr, die Seestadt und vor allem Ihr, wir alle, die wir andere Menschen sind, eine Heimat geworden seid, die ich um nichts in der Welt mehr missen will.“ Vielleicht zieh‘ ich nachher ein anderes Leiberl an. Danke!


Zwei Dinge noch: Um eine Stadt großzuziehen braucht es eine Buchhandlung, aber eine Buchhandlung braucht auch eine Stadt und vor allem ihre Menschen. Eines ist ohne das andere sinnlos. Danke!
Eine weise und sehr liebe Freundin hat mir mal gesagt: „Optimismus heißt umgekehrt Sumsi mit Po.“ Denkt da mal drüber nach, das ist es wert – Danke!