Der Botaniker
von M. W. Craven
Dass die Opfer des Botanikers, wie die Presse den Mörder des chauvinistischen und misogynen Talkshow-Hosts und Incelfluencers tauft, nicht unbedingt zu den Sympathieträgern gehören, macht die Arbeit DS Washington Poe und seiner Kollegin/Assistentin Tilly Bradshaw nicht unbedingt einfacher. Einerseits scheint der Killer eine Person von unschlagbarer Genialität zu sein, andererseits fehlt es ihm nicht an Selbstbewusstsein. Er ist sogar so selbstbewusst, dass er seinen Opfern eine Ankündigung seiner Tat schickt, eine Ankündigung in mehr als holprigen Reimen verfasst, der eine getrocknete Blume beiliegt. Die hat natürlich etwas mit der Todesart zu tun, die das Opfer erleiden darf. Aber weder der Chauvi noch das nächste Opfer, eine rechtsaußen-praktizierende Youtuberin, Wahrsagerin und selbsternannte Aufdeckerin, nehmen die Nachricht ihres bald eintretenden Ablebens ernst. Und zu allem Überfluss wird auch noch Tillys und Washingtons geschätzte Kollegin, die Pathologin Estelle Doyle verhaftet, sie soll ihren Vater umgebracht haben.
„Der Botaniker“ ist ein kniffliger, fast undurchschaubarer aber unschlagbar unterhaltsamer Kriminalroman in dem M. W. Craven, seines Zeichens erfolgreicher britischer Autor und Überlebenskünstler Hochspannung, Humor und Cozy-Crime zu mischen versteht, wie kein anderer zuvor.
„Der Botaniker“ ist außerdem sein fünfter Bradshaw und Poe Roman, der – aus unerfindlichen, also wahrscheinlich wirtschafts- oder lizenzrechtlichen Gründen – zuallererst in deutscher Sprache veröffentlich wurde, was allerdings dem Lesegenuss keinen Abbruch tut.
Poe, ein grantiger, aber sympathischer Einzelgänger, kriminalistisch erfahren aber sozial unverträglich, ist – wie leicht nach der Lektüre von Cravens Biographie zu erraten – des Autors Alter Ego. Tilly Bradshaw, fast unheimlich intelligent, ausgestattet mit dem perfekten Gedächtnis wie auch perfekten Hacker-Skills, ist hingegen Cravens Schweizer Taschenmesser, sein Deus Ex Machina, sein Allround-Werkzeug. Im Gegensatz zu Poe ist sie nicht durch eine traumatische Kindheit bzw. eigenen Willen sozial inkompatibel, sondern durch Überbehütung und fehlendem Interesse. Das wiederum hat zur Folge, dass sich die beiden hervorragend verstehen, sie sind des jeweils anderen Spiegelbild, der eine grantig, die andere fröhlich.
Insofern ist es eine Freude den beiden zuzusehen, wie sie gemeinsam eine kriminalistisches Perpetuum Mobile bilden, das zwar vielleicht nicht in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, aber sich selbst zu ungeahnten Höchstleistungen hochschaukelt und dabei vielleicht das eine oder andere Risiko eingehen.
„Der Botaniker“ ist pure Unterhaltung, höchst spannend und extrem packend, Sozialkompetenz ist für den Genuss dieses Romans nicht erforderlich.
Droemer/Knaur 2023
978-3-426-28398-1
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