Bücher der Woche – KW34
Lagern und Lesen
Meine Bücher der Woche – KW34
Anscheinend habe ich zu lange Pause gemacht mit dem Bloggen, das kommt von der Arbeit im Schulbuchlager und an den Schulen selbst, wo Anna, Yara, Jaqui, Sebastian, Janis, Eva, Evelyn und ich die bestellten Schulbücher austeilen.
Beim Lesen selbst machen wir aber keine Pause, schließlich legen die Kolleginnen und Kollegen die ersten Herbstneuerscheinungen schon auf unseren Büchertischen aus und die neuesten Geschichten warten nicht, bis wir die Schulbücher fertig verteilt haben. Neben meinen täglichen Übungen für weniger Rückenschmerzen (Rota-Übungen), ist Lesen die Erholung meiner Wahl. Hier findet Ihr meine Bücher der KW34. Viel Vergnügen! JK
„Wo wir uns treffen“, Anna Hope
Der König ist tot, es lebe der König! Philip Brooke, Erbe und Inhaber eines großen Familienanwesens in Sussex ist gestorben und hinterlässt seinen zwei Töchtern und seinem Sohn einen Riesenhaufen Schulden, Probleme und einiges an Streit und doch blicken alle optimistisch in die Zukunft und auf ihre Pläne für das große Anwesen. Nur, dass diese Pläne eben nicht unbedingt deckungsgleich sind.
Milo will auf dem Gelände eine Klinik zur Psychotherapie durch bewusstseinserweiternde Drogen für extrem wohlhabendes Klientel aufbauen und so die Welt von oben herab ändern. Er hat sogar schon einen Sponsor! Nur seiner Schwester, der Haupterbin Frannie hat er noch nichts davon erzählt und irgendwie ist während der Begräbnisvorbereitungen nie wirklich Zeit, weshalb Milo den Sponsor kurzerhand eingeladen hat.
Frannie hat in den letzten Lebensjahren das Land mit ihrem Vater gemeinsam in ein Renaturierungsprojekt, einen Biosphärenpark zu verwandeln versucht, doch der Aufwand ist groß und die finanzielle Lage erdrückend.
Isa, der jüngsten Schwester, ist das alles zuwider. Für sie war ihr Vater schlicht ein größenwahnsinniger Egomane, der nie darüber hinweggekommen ist, dass die drogen- und alkoholgetränkten Festivals, die er in den 70ern auf dem Anwesen veranstaltet hat, zu Ende gegangen sind. Und dann ist da noch Philips Frau, die Mutter der drei, die nach dem Tod des Patriarchen keine Sekunde mehr im alten Herrenhaus verbringen will und schließlich das Haus von Frannie und ihrer jungen Tochter in Besitz nimmt und die beiden so zwingt, ins alte Herrenhaus zu ziehen, was Frannies Tochter gar nicht zusagt.

„Wo wir uns treffen“ ist eine wundervolle, reichhaltige, mit leisem Humor und einer vielschichtig und zielgerichtet strömenden Handlung erzähltes Epos vom Ende einer Ära und der Erkenntnis, dass ein Tod vieles bedeuten kann, vor allem aber ein Ende, wovon auch immer. Wunderschön, herzlich, ehrlich und schonungslos erzählt Anna Hope von England, von Kolonialismus, Familie und Selbstverantwortung. Ein Traum von einem Familienroman! (JK)
„Biarritz“, Andrea Sawatzki

Hannahs Mutter ist alt geworden. Ihren Verstand hat sie verloren, „Ja“ sagt sie noch, sonst nichts mehr. Sie braucht Windeln, sie hat vergessen, wie gehen geht und waschen und zahlreiches Anderes auch. Vielleicht hat sie mehr vergessen, als Hannah jemals von ihrer Mutter gewusst hat. Dass die frühere beste Freundin der Mutter – aus der Zeit, bevor Hannah noch ein Kind war – ins selbe Altersheim gezogen ist, baut Hannah eine Brücke; eine Brücke, mit der Hannah eine Frau treffen kann, von der sie nicht wusste, dass auch sie ihre Mutter war.
Neu ist das Thema nicht, neben Liebe und ihren Folgen ist es vielleicht sogar das älteste der Welt. Wenn von der Vergangenheit mit einem nicht präsenten Vater erzählt wird, vom Alltag als Nachtschwester, vom Aufwachsen mit Ersatzmüttern in einer Einlegerwohnung und dem ewigen Gefühl, niemals genug zu sein, niemals genug sein zu können, dann ist diese schreckliche Gefühlsmischung aus Daheimsein und Weglaufenwollen ganz nah.
„Biarritz“ ist ein klares, manchmal humorvolles, manchmal erschreckendes aber immer ehrliches Buch. Andrea Sawatzki berührt mit erzählerischem Können und einem fundiertem Wissen, das am Ende sagt, wir sind nicht allein. Dieses Buch erzählt vom Sehnen und Wollen und Brauchen und vom Befreienden in der Zuwendung. „Biarritz“ ist ein furchterregend berührendes Herzensbuch für mich geworden, sowohl in gedruckter, als auch in gesprochener Form. Ich kann kaum erwarten, auch „Brunnenstraße“ zu lesen. (JK)
„Gesetz des Midas“, Peter Lorath
Es ist um 1880 herum und in Wien ist die scheinbar größte politische Gefahr ausgebrochen, die man sich überhaupt vorstellen kann: Die Sozialdemokratie!
Polizei, Monarchie, Wirtschaft und Gesellschaft fürchten sich vor nichts mehr, als vor einem Anschlag, wie er erst vor kurzem den Zaren das Leben gekostet hat und in den Ziegelwerken am Wienerberg brodelt es gewaltig. In Kürze steht außerdem die Hochzeit des Kronprinzen Rudolf am Programm und der Polizeichef Marx ist krank vor Sorge.
Da trifft es sich gut, dass sein bester Ermittler, Leopold Kern, in ebendiesen Ziegelwerken am Wienerberg aufgewachsen ist, dort geschuftet und von den, despektierlich Ziegelböhmen genannten Arbeitern, sogar Tschechisch gelernt hat. Und weil gegen den Kern sowieso grade ein Disziplinarverfahren läuft, soll er sich dort wieder einreihen und herausfinden, was es mit dem rätselhaften Toten am Wienerberg auf sich hat und vor allem, ob sich dort eine sozialistische Verschwörung oder gar anarchistische Anschlagspläne die Hochzeit des Kronprinzen betreffend, zusammenbrauen.
Peter Lorath hat einen packenden, minutiös recherchierten und perfekt erzählten Krimi geschrieben, der sich im alten Wien zuträgt. Neben Polizeichef, Staatsanwalt und vielen anderen echten historischen Persönlichkeiten, kann man auch dem Herrn Dr. Adler und dem Herrn Dr. Hoffmann, einem der führenden Pathologen der alten Wienerstadt bei der Arbeit zulesen. Ein absolutes Krimi-Vergnügen und nicht der erste, nicht der zweite, sondern schon der dritte Teil der Reihe, so dass man gleich ein bissl mehr zu lesen hat. (JK)

„My Lady Jane“, Cynthia Hand, Brodi Ashton & Jodi Meadows

Cynthia Hand, Brodi Ashton und Jodi Meadows, also gleich 3 Autorinnen haben sich zusammengetan, um dieses wunderbare Buch zu schreiben, von dem es anscheinend sogar eine Verfilmung in Form einer Serie gibt. Nicht, dass mich das groß interessieren würde, denn „My Lady Jane“ ist so ein grandioses und durch und durch fantastisches Lesevergnügen, dass eine Verfilmung gar keine höheren Gefühle in mir hervorrufen könnte, als dieses Buch.
Lady Jane Gray, die Neuntageskönigin, die im 16. Jahrhundert von den Glaubenskonflikten und Konflikten rund um die Thronfolge dahingerafft und zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde steht im Mittelpunkt dieser wundervollen historischen Fiktion, die schon am Cover gesteht, „Nicht ganz ihre wahre Geschichte“ zu erzählen. Das fängt schon damit an, dass Gifford – oder „G“, wie er lieber genannt werden möchte – Dudley, Lady Janes Prinzgemahl sich untertags in ein Pferd verwandelt. Jawohl, in ein Pferd, und damit ist er nicht der einzige in England. Denn eine Seuche geht um, ein magischer Fluch, der einigen ausgewählten – darunter auch einigen Adligen – die Möglichkeit gibt, oder sie zwingt (je nachdem), sich in ein Tier zu verwandeln, auf Wunsch oder zu bestimmten Anlässen, das kommt ganz darauf an, wie gut die betroffene Person diesen Zustand zu beherrschen weiß.
Maria Tudor, die Großmutter von Edward, dem Vetter Janes und derzeitigem König, zum Beispiel, hat ihren jähzornigen Sohn dadurch in Schach gehalten, dass sie sich in ein Stinktier verwandelt hat und dem brüllenden Löwen (tatsächlich) ins Gesicht gesprüht hat. Edward selbst, scheint, obwohl erblich vorbelastet, keine solche Gabe zu besitzen, überhaupt überlässt er alles, was Regierungsgeschäfte oder andere Aufregungen betrifft, lieber anderen, zum Beispiel seinem Berater, dem Lordprotector John Dudley, dessen Sohn Gifford eben oben genanntes, equistisches Problemchen hat.
Ihr seht schon, es ist kompliziert. Noch komplizierter wird es, als klar wird, dass der schwer kranke und doch noch recht jugendliche König Edward vor seinem viel zu frühen Tod keine Erben mehr hervorbringen wird, weshalb der Lordprotector kurzerhand eine Änderung der Thronfolge vorschlägt. Nicht Edwards Schwester Mary soll den Thron bekommen, sondern Edwards Base Jane (das ist der Moment für einen schicksalsträchtigen Dreiklang). Die soll nämlich mit dem Sohn des Lordprotectors verheiratet werden, was natürlich dem Lordprotector eine ganz neue Perspektive auf die zukünftige Position im königlichen Machtgefüge eröffnet. Und schön langsam beschleicht mich das Gefühl, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, denn während Gifford und Jane sich erzwungenermaßen und erzwungenermaßen holprig (weil Pferd) näher kommen, schmiedet die gesamte königliche Umgebung die allerschlimmsten Ränke!
Was in der reellen Welt zu einem gar schrecklichen Ende führte erzählen die drei Autorinnen neu, mit Witz, Charme und unglaublich packender, spannender Handlung. So spannend, dass man gar nicht mehr zum Lesen aufhören will UND AUSSERDEM sogleich und sofort nachlesen will, wie das denn in der reellen wirklichen Welt gewesen ist, was gar kein Spoiler ist, weil die Geschichte im Buch ja sowieso eine andere ist! Versteht ihr? Genial, oder? Also nochmal zum Mitlesen: WAHNSINNSBUCH! Macht Spaß! Erzählt Geschichte! Ich liebe es. (JK)
Peter Lorath „Gesetz des Midas – Wiener Abgründe 3“
Piper Verlag, 2025