Bücher der Woche KW30

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Bücher der Woche – KW30

Eastern, Western, Magie und gutes Essen

Meine Bücher der Woche – KW30

Die Schulbuchaktion hat angefangen. Am 21.7. haben Eva, Anna, Jaqui, Yara und ich die ersten 59 Paletten Schulbücher, am nächsten Tag gleich nochmal über 30 und dann zwei Tage später nochmal über 20 Schulbücher bekommen (was Schulbuchaktion genau für eine Buchhandlung und ihre Schule bedeutet, könnt Ihr in Evelyns Blogbeitrag lesen). Und je anstrengender der Alltag wird, desto wichtiger ist guter Lesestoff für die geistige Erholung. Meine dieswöchiger Lese-Reise hätte intensiver gar nicht sein können, schließlich haben mich meine Bücher gleich zwei Mal in die USA, nach Korea und nach Schottland geführt. Die Bücher bekommt Ihr wie immer in Eurer Seeseiten Buchhandlung, wir wünschen Euch jetzt schon seitenweise Vergnügen!
JK

„Die acht Leben der Frau Mook“, Mirinae Lee

Drei Wörter reichen nicht um ein Leben zu erzählen. Dafür braucht es mindestens ein Buch.

Angeblich hilft es Menschen sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sie sterben werden, wenn sie ihre Trauerfeierlichkeiten selbst organisieren, ihren Nachruf selbst verfassen können. Zumindest denkt das die frisch geschiedene Assistentin der Direktorin des Golden Sunset Pflegeheims nach der Lektüre eines Artikels in einer Frauenzeitschrift und sie beginnt von den alten Leuten, die im Golden Sunset residieren, Wörter einzusammeln. Drei Wörter, um genau zu sein, denn das ist nicht zu viel und nicht zu wenig, um in einem Nachruf das eigene Leben zusammenzufassen. Doch auf der Demenzstation, als Oma Song Jae-soon wieder einmal abgängig ist, trifft sie Frau Mook, die mit Oma Song Jae-soon in einem Zimmer lebt und der drei Wörter nicht einmal annähernd genug sind.

8 Wörter braucht sie, sagt Frau Mook und dann erzählt sie, entlang von Grenzen, Krieg, Spionage, Gewalt, Flucht und Diktatur erzählt sie von Erfindungsgeist, Widerstandskraft, Sturheit, Lebenswillen, Schläue und einem einzigartigen listigen, starken und unaufhaltsamen Trotz, am Leben zu bleiben, von den acht Leben der Frau Mook. Von Nord- nach Südkorea, zwei Kriege hindurch und mehrmalige Grenzüberquerungen, Familien, Gewalttaten, Morde, Verbrechen, Liebschaften, Beziehungen, Rettungen und unfassbare Zufälle später sitzen wir atemlos wieder im Golden Sunset und wissen, dass auch acht Wörter nie genug sein können.

Selten schaffen es Autorinnen und Autoren Biografien – auch wenn es fiktive sind – die Ausgewogenheit, die erzählerische Balance zu verleihen, die die Unregelmäßigkeiten und das Chaos eines ganzen Lebens verlangen und gleichzeitig wahrhaftig zu bleiben. Mehrfach ausgezeichnet und in mehr als 10 Sprachen übersetzt erzählt Mirinae Lee einen mutigen, ungezügelten Roman, der trotz seiner formalen Wildheit oder gerade wegen ihr, immer in seiner Mitte bleibt: der Erinnerung, dem Erzählen und den Geschichten. Echt, brutal, brillant, berührend und wahnsinnig packend ist „Die acht Leben der Frau Mook“ eine weitere literarische Weltenreise, die uns dorthin bringt, wo viele Leserinnen und Leser noch niemals vorher waren. (JK)

Mirinae Lee „Die acht Leben der Frau Mook“, Unionsverlag

„We burn Daylight“, Bret Anthony Johnston

Bret Anthony Johnston „We burn Daylight“, C. H. Beck Verlag

Waffen, Sex und fanatischer Glaube sind die Werkzeuge von Lamb, einem Prediger und Sektenführer, der in Waco, Texas Anfang der 90er immer mehr Gläubige um sich schart und das Ende aller Zeiten predigt.

Wie wenig ungewöhnlich, wie normal das Gebahren der Sekte im Texas der 90er Jahre scheint, zeigt Johnston deutlich dadurch, wie locker und freundschaftlich die Verbindungen der Stadtgemeinde mit den Mitgliedern der Sekte und deren Führer sind. Die Frau des Sherriffs hat ihre Pferde auf Lambs Weide untergestellt, auf Waffenshows kaufen die Gäste von den Sektenmitgliedern hergestellte Bibeln, in denen Waffen versteckt sind – als Gag – sogar der Sherriff hat eine. Waffen horten, über Jesus reden, daran ist nichts Unrechtes und schließlich darf in Amerika jeder tun, was er für richtig hält, solang nicht bewiesen ist, dass ein Gesetz gebrochen wurde oder man gegen die guten Sitten verstößt. Und Lamb ist schließlich immer höflich, ein Spinner, klar, aber immer höflich.

Als aber das Gerücht auftaucht, dass auf der Farm registrierungspflichtige Waffen und Handgranaten versteckt sind, wird das FBI auf die Sekte aufmerksam und der Sherriff beschließt Lambs Farm gemeinsam mit seinem jugendlichen Sohn Roy einen Besuch abzustatten. Er soll sich dort unauffällig umsehen.
Es ist von Anfang an klar, dass ein Unglück bevorsteht. Roy trifft die rebellische Jay, die mit ihrer Mutter gemeinsam zu Lamb gezogen ist, und vom Sektenführer als zukünftige Braut favorisiert wird. Jay hält von dem selbst ernannten Propheten relativ wenig und gibt ihm kontra. Umso besser versteht sie sich mit dem Sohn des Sherriffs, den sie bei seinen Streifzügen auf der Ranch wiedertrifft.

In Form von Nachforschungen eines Podcasters und mit mehreren perspektivischen Wechseln erzählt Johnston von der Schwierigkeit autokratisch und fanatisch geführter Gemeinschaften, von den Problemen, die sie für eine offene Gesellschaft in unmittelbarer Nähe, wie auch überregional und langfristig darstellen; er verschweigt nicht und ergreift, wenn überhaupt, Partei für einen differenzierten und überlegten Umgang mit Fanatismus und Gewalt.

„We burn Daylight“ erzählt, angelehnt an die Belagerung der „Branch Davidians“-Sekte von der kräftezehrenden, vielschichtigen Schwierigkeit eine gemeinsame Gesellschaft zu erhalten und aufzubauen und der unbedingten und unumgänglichen menschlichen Pflicht immer und immer weiter unermüdlich an diesem Miteinander und seinen Herausforderungen zu arbeiten. Ein Roman, der gleichzeitig die amerikanisch-texanische Seele erzählt, ihr widerspricht und ihr in der Tiefe ihres Herzens zustimmt. Ein Liebesroman, ein Kampf, ein Stand-off, ein Showdown, eine Familiengeschichte, ein Drama, eine wahre Geschichte und ein Hoffnungsbuch, Johnston ist ein stiller, berührender und wahrer Meilenstein gelungen. (JK)


„Samstagabend im Lakeside Supper Club“, J. Ryan Stradal

Vielleicht wird es Zeit für einen neuen Irving und damit meine ich nicht, ein neues Buch vom Meister selbst.

Wirtshaus gibt’s überall, in den USA nennt man das anscheinend Supper Club. Dass J. Ryan Stradal gerade den LAKESIDE Supper Club ins Zentrum seines neuen Romans stellt, kann kein Zufall sein.

Die junge Florence flieht schon seit Längerem mit ihrer Mutter Betty durch den Nordosten der USA, nicht unbedingt freiwillig, doch der Krieg hat Florences Vater und Bettys Ehemann zu einem gewalttätigen Trinker gemacht und Betty ist nicht gewillt, sich selbst und ihre Tochter diesem Unbill auszusetzen. Lieber lebt sie mit Florence von Job zu Job, von Bruchbude zu Bruchbude, bis sie von einem überraschend manierlichen und freundlichen Gentleman zum Lakeside Supper Club mitgenommen werden. Er ist auf der Suche nach Mitarbeitern und mehrere Gästehütten hat er auch und wider aller Befürchtungen ist es wunderbar dort.

Aber eigentlich beginnt die Geschichte mit Mariel, die einen Hirsch anfährt, eine Freundin findet und ihre sture Mutter deshalb nicht vom Palatschinken-Essen in der Pfarre abholt.

Und dann geht es aber auch wieder um Ned, Erbe einer großen Fast-Food-Kette und um Julia, die ihre Zukunft nicht im Familienbetrieb sieht und um Betty und Floyd und Archie.

Die Geschichte rund um den Lakeside Supper Club springt über so viele Stromschnellen, wird von so vielen Zufällen bestimmt, dass ich mich beim Lesen gefühlt habe, wie auf einem Floß, das von einem erfahrenen Kapitän einen Gebirgsfluss stromabwärts geführt wird. Manchmal schüttelts dich durch und hin und wieder denkst du dir, jetzt ist es aus, aber in Wirklichkeit weißt du, dass der Fluss immer nur in eine Richtung fließt, talwärts. Und wenn der Kapitän auch nur annähernd so erfahren ist, wie dir alle versichert haben, dann wirst du irgendwann ankommen, am Bear Jaw Lake in Minnesota anlegen und über den Pier wieder Festland betreten um nach einem wilden Ritt ein Abendessen zu genießen, ein kühles Bier zu trinken und vielleicht einen Cocktail, denn da haben sie angeblich auch besonders gute im Lakeside Supper Club, mit von einer Einheimischen selbst gebrautem Gin, hab ich gehört. Vielleicht gibt’s auch Live Musik, das machen die manchmal da. Die weltgewandte Ironie von John Irving hat Stradal vielleicht nicht, die ist hier aber auch nicht notwendig oder erwünscht, stattdessen wirst du als Leser*in in die Arme genommen von Stradals wunderbarer Gabe, seinen Leserinnen und Lesern in seinen Romanen eine Heimat zu geben, egal wer sie sind und woher auch immer sie kommen mögen. (JK)

J. Ryan Stradal „Samstagabend im Lakeside Supper Club“, Diogenes Verlag

„Die Meerjungfrauen von Aberdeen“, Ben Aaronovitch

Ben Aaronovitch „Die Meerjungfrauen von Aberdeen“, dtv

Ich habe keine Ahnung, wie weit Aaronovitchs geniale Fantasie-Welt sich schon ausgebreitet hat, aber Teufel noch eins, sie macht immer noch Spaß!

Eine Leiche mit Kiemen mit Bissspuren eines großen Raubtiers, eine auf einer Bohrinsel verschwundene Wissenschaftlerin, besonders (und ich meine BESONDERS) aggressive Möwen und ein Panther; das klingt alles gut und schön in einem Buch aber insgesamt scheint es sich dann doch eher um einen Fall für das Team der Special Analytics Unit oder Folly, wie die Einheit für, na ja, besondere Fälle der Londoner Metropolitan Police vorsichtig genannt wird zu handeln.

Weil aber die Zuständigkeiten der Londoner Met – auch wenn es sich um eine Spezialeinheit handelt – in Schottland nicht unbedingt gültig sind, fahren Peter Grand, Abigail, die Füchse, Nightingale, Beverly, die Zwillinge, Peters Vater und Mutter, die Band von Peters Vater und noch einige mehr, einfach auf Urlaub nach Aberdeen. Zur Erholung! Das liegt doch am Meer, also ist es Urlaub. Dass es nicht lange dauert, bis klar wird, dass es sich nicht wirklich um Urlaub handelt, ist klar, denn neben oben genannten tauchen eine mythische Jägerin, Riesenpferde, schmierige Amerikaner und ebensolche Manager und Politiker auf.
Dass es Aaronovitch – übrigens ein ehemaliger Buchhändler – nach unzähligen Comics, Spin-Offs und einer ganzen Reihe von Urban-Fantasy-Krimis, es immer noch schafft mit den Abenteuern des abgeklärten Zauber-Polizisten Peter Grant zu unterhalten und zu begeistern grenzt an Magie.

Sein streng naturwissenschaftlicher und kanonischer Umgang mit der Welt der Mystik und der Zauberei schaffen mit seiner zeitgleichen Offenheit eine Welt, die besser und realistischer nicht sein könnte. Und so ist es kein Wunder, dass die Welt rund um die Flüsse von London – so der übergeordnete Titel der Reihe, mit ihrem architektonischen, geschichtlichen, musikalischen und Wissensschatz sogar wohlwollend auf Ö1 besprochen wurde. Wer noch nicht angefangen hat, sollte dies schnellstmöglich tun, bevor das ganze noch verfilmt wird, lang kann es nicht mehr dauern. (JK)


Mirinae Lee „Die acht Leben der Frau Mook“

Unionsverlag, 2025


Bret Anthony Johnston „We burn Daylight“

C. H. Beck Verlag, 2025


J. Ryan Stradal „Samstagabend im Lakeside Supper Club“

Diogenes Verlag, 2025


Ben Aaronovitch „Die Meerjungfrauen von Aberdeen“

dtv, 2025