Anna und die Wut
von Christine Nöstlinger, Anke Kuhl – Fischer Sauerländer Verlag
Es ist genug für alle da, vor allem Wut.
Als Anna und die Wut erschienen ist, war ich ungefähr neun Jahre alt. Christine Nöstlingers Wauga, ihre Feuerrote Friederike, die Geschichten vom Franz haben mich meine ganze Kindheit begleitet. Für ein Buchhandlungsquiz habe ich eines Tages schlechte Rezensionen zu Werken von berühmten Autorinnen und Autoren recherchiert und im Standard-Forum die folgenden wunderbaren Zeilen gefunden: „Ich traue mich jetzt: ich hasse die Kinder- und Jugendbücher von Christine Nöstlinger. Mögen sie auch preisgekrönt sein. Die bladen schiachen Kinder, die Scheidungen, der trostlose Alltag im Gemeindebau … das alles konnte ich eh live in meiner Nähe miterleben. Das wollte ich nicht noch lesen müssen.“
(Kommentar im Forum vom 14.10.2022, abgerufen am 09.11.2025, Quelle – Autor*in: Das kleine Neinhorn)

Ich weiß es natürlich nicht, aber ich stelle mir gern vor, dass Frau Nöstlinger diesen Kommentar amüsant gefunden hätte. Einmal durfte ich sie treffen – ausgerechnet bei einem Business-Frühstück der Fachgruppe Buch- und Medienwirtschaft im Café Engländer. Ich weiß noch, dass sie geraucht hat, und ich bilde mir ein, eine von uns beiden hat Eierspeise gegessen. Vor lauter Ehrfurcht habe ich kein Wort herausgebracht oder nur Blödsinn, was aufs Selbe herauskommt. Kurz darauf ist sie dann verstorben.
Die Klarheit und Ehrlichkeit, die Weltverdrossenheit und das gleichzeitige Vertrauen in die Menschheit, mit all dem Wahnsinn umzugehen, der täglich über uns hereinbricht, vor allem das Vertrauen in die, die noch einiges vor sich haben, kommt mir manchmal wie eine Zumutung vor. Das würde zumindest ansatzweise und in meinem Kopf den Kommentar von „Das kleine Neinhorn“ im Standard-Forum erklären (als ob im Standard-Forum irgendetwas tatsächlich logisch erklärbar wäre). Gleichzeitig scheint mir die unaufgeregte Einstellung, einfach zu erzählen, was ist, der Mut und ihre Art, auf das zu zeigen, was vor uns liegt, ob es glitzert, voller Dreck oder einfach nur da ist, Christine Nöstlingers großes zentrales Thema zu sein.
Hast du schon einmal ihre Gedichte gelesen? Iba die gaunz oamen Leit oder Ned dasi ned gean do warat. Beide im Residenz Verlag erschienen Bände sind Bücher in Residence bei uns, das sind Titel, die einfach da sein müssen; ohne sie geht es nicht. Dass Anna und die Wut mit den Illustrationen von Nöstlingers Tochter Christiana Nöstlinger ein eigenständiges Werk ist, steht außer Frage, das passt zusammen wie Locken und Kopf. Umso höher ist es dem Verlag anzurechnen, dass er dem Buch eine Neuauflage gönnt und dafür niemand geringeren als die einzigartige Illustratorin Anke Kuhl ins Boot geholt hat. Was Christine Nöstlinger mit ihren Texten geleistet hat, das macht Anke Kuhl mit ihren Bildern. Ihre Aufklärungsbücher, in denen sie mit echten Kinderfragen arbeitet, ihr großartiger Lehmriese, ihr Buch über den Tod Radieschen von unten erzählen mit demselben Mut, derselben liebevollen Frechheit und Zumutung, die uns Christine Nöstlinger in ihren Büchern zutraut. A match made in heaven – und eine Neuentdeckung, die diese wunderbare Geschichte der großen Autorin für ein Neuverschenken und ein Wiederlesen aufbereitet. War das notwendig? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass es mir gefällt. Sehr sogar!
– Johannes

Anna und die Wut
von Christine Nöstlinger, Anke Kuhl
Fischer Sauerländer Verlag
