Vorleseherbst 2025

Der Vorleseherbst 2025

Es wird früher dunkel, beim Gehen raschelt es und am frühen Morgen schwimmen die Hunde durch den Nebel. Die neuen Bilderbücher purzeln in die Buchhandlung. Es ist Vorlesezeit. Am 18.10. haben wir das erste Mal in diesem Herbst vorgelesen und erzählt, mit Mond, mit Fuchs, mit Geist und überhaupt den Allertollsten – und die Auswahl ist mir nicht leichtgefallen.

Matthew Forsythe „Aggie und der Geist“, Rotopol

Seit seinem großartigen Buch über die lesesüchtige Maus Mina, die von ihrem Vater ein vermeintliches „Eichhörnchen“ (Achtung, Spoiler: Es ist tatsächlich eine Katze!) geschenkt bekommt, sind Matthew Forsythes Bücher ein Fixpunkt für mich. Die Bilder sind wunderbar eindringlich und still und trotzdem von einer eigenen, unaufdringlichen und bezaubernden Art und Farbwahl, die Texte reduziert und ganz klar.

In der aktuellen Kinderbuchwelt, in der – gefühlt – immer alles gelingen muss, was man sich nur mit ganzem Herzensmut wünscht, sind Matthew Forsythes Geschichten wunderbare Lichtungen im Wir-müssen-nur-wollen-Dickicht.

Minas Papa hat immer wundervolle Ideen, die jedes einzelne Mal grandios Scheitern. Das geht so weit, dass Mina sich gar nicht mehr beim Lesen stören lässt, wenn er mit einer Idee kommt. Nicht einmal ein Auf-die-Stirn-Schlagen kommt ihr noch aus, höchstens das eine oder andere Augenrollen mit einem gemurmelten „Ich weiß ja nicht“. Schließlich ist Papa der Papa und das muss ja auch was heißen. Muss es das? Ich weiß ja nicht. Aber dann, dann hat das eine Scheitern doch noch einen Sinn und löst das andere Scheitern glücklicherweise grade noch rechtzeitig auf. Das Ende liegt zwischen „gut“ und „ärgerlich“ und „lustig“, ärgerlich deshalb, weil der Papa jetzt doch wieder recht hat, obwohl er das gar nicht, also nie und nimmer hätte wissen können. Wundervoll.

Bei Aggie ist es anders. Aggie hat endlich ein Haus gefunden, in dem sie allein leben kann, doch dann lebt ein Geist darinnen und hält sich nicht, und zwar an keine einzige Regel, die Aggie festlegt. Dass der Geist vorher da war, fällt Aggie und der Geschichte gar nicht auf. Aber manchmal ist das so, und man muss sich zusammenraufen, und manchmal funktioniert das, und manchmal einfach nicht. Und manchmal ist trotzdem alles irgendwie gut, auch wenn es nicht funktioniert hat, auch wenn es ärgerlich ist und man nicht „beste Freunde“ wird, man kann sich arrangieren. Es ist ein Bilderbuch des holprigen Weges und der Zusage zum differenzierten Selbst-, Fremd- und Beziehungsverständnis. Ein Gesellschafts- und Zusammenrauf-Buch, in dem selbst die mystische Maskeneule mit ihrer Prophezeiung nichts auflöst. Einzig die Übung, das mühsame Erarbeiten eines Miteinanders, hilft. Ob es beim Miteinander um andere Menschen geht oder doch um sich selbst und die eigene Prägung, müssen andere entscheiden, die sich damit wirklich auskennen. In diesem Sinne ist es vielleicht doch ein Wirmüssennurwollen-Buch, aber eben ohne Glitzer; muss auch nicht immer, finde ich.

Beate Teresa Hanika & Kristina Andres „Wenn Mama Fuchs schläft“, Gerstenberg

Es sind die Bilder, die einen sofort in den Bann ziehen. Sofort will man sich an den Bauch von Mama Fuchs kuscheln, die Augen schließen, sich ausruhen und schlafen. Nur der kleine Fuchs nicht. Der will erstmal, dass alles so ist wie immer. Das heißt, Mama Fuchs muss in der Früh vor der Höhle sitzen. Sie muss zusammengeräumt haben und das Frühstück fehlt! Warum fehlt das Frühstück?

Ah, klar, weil Mama Fuchs in der Höhle liegt und schläft und nicht einmal reagiert, als der kleine Fuchs sie anstupst und nach dem Frühstück fragt. Na gut, dann geht er halt spielen. Was er dann zu hören bekommt, von Otter und Maulwurf, lässt ihn jeden Ärger, dass es kein Frühstück gegeben hat, vergessen. Denn der Otter denkt, Mama Fuchs habe giftige Beeren gegessen und der Maulwurf hat gehört, dass sich Füchse zusammenrollen, wenn sie sich ein Bein gebrochen haben! Zum Glück gibt es da noch den klugen Uhu, der genauer nachfragt und die vollkommen eigenartige und abwegige Idee äußert, dass Mama Fuchs vielleicht, möglicherweise und eventuell doch müde ist. „MÜDE? MAMA FUCHS IST NIE MÜDE!“, behauptet der kleine Fuchs verdattert. „Soso“, sagt der Uhu und streichelt dem kleinen Fuchs über den Kopf.

Es ist ein seltenes Vergnügen, ein so empathisches und liebe- und verständnisvolles Buch lesen und erzählen zu dürfen. Ein Buch, das das Normalste der Welt ausspricht und gleichzeitig vielen Kindern (und wahrscheinlich auch vielen Erwachsenen) einen komplett neuen Gedanken, eine komplett neue Perspektive eröffnet. Ein so wertvolles Buch wie „Wenn Mama Fuchs schläft“ mit einem so herzerwärmenden Ende findet man nur alle paar Jahre. Genauso oft, wie Mama Fuchs mal Zeit hat zum Ausruhen. Unbedingt vorlesen!

Olivier Douzou „Die Allertollsten“, Picus

Immer, wenn der Picus Verlag ein Bilderbuch herausbringt, warte ich sehnsüchtigst darauf, einen ersten Blick hineinwerfen zu dürfen. Finden sich doch im Programm des Verlags so tolle und einzigartige Titel wie „Wählt Wolf!“ von Davide Cali, „Frosch findet Krone“ von Friederike Dammermann oder – mein absolutes LIEBLINGS-PRINZESSINNENBUCH „Ich will ein Schokocroissant. Sofort!“ von Jean-Luc Englebert , und das ist nur ein kleiner Teil seines Sortiments.

„Die Allertollsten“ erzählt mit einer unglaublichen Lebensnähe das Allernormalste – einen Allertollsten-Wettbewerb, in dem es darum geht, wessen Bruder am weitesten spucken, wessen Onkel am schnellsten Fahren, wessen Oma am besten Fußballspielen kann, und außerdem ist meine Mama Sherriff! Es wird geschnipst, und wer das nicht kann, ist kein Großer, und sieben Viertelstunden sind überhaupt keine Zeit, obwohl mein Papa die Uhr erfunden hat. Es ist wunderbar und macht herrlich viel Spaß, bis einer etwas sagt, das alle vollkommen aus der Bahn wirft. „Mein Bruder ist nämlich verliebt! In eine Geliebte!“ „Die Allertollsten“ ist ein wundervolles Spaßbuch mit tollen, schnellen Gags, klarem, wiedererkennbarem Witz und dem perfekten Schluss. Dem allertollsten Schluss!

Lena Raubaum & Zuzanna Kowalska „Der Mond, der die Sterne ordnen wollte“, Vermes

Lena Raubaum ist eine absolute Lieblingsautorin von mir. Ihr Witz und ihre Ideen sind die Besten, und ihr Gefühl für Rhythmus, Text und ihr Humor sind für mich unerreicht. In ihrem neuen Buch erzählt sie vom Mond, der – auf seiner silbernen Schaukel sitzend – sich der schwierigen Aufgabe gegenübersieht, eine ganze Schachtel voller Sterne zu ordnen. Aber wie?

Es ist ein liebevolles, verspieltes Buch, das die kindliche Welt in ihren Aufgaben, ihrer permanenten Überforderung und dem immerwährenden Lernen- und Ausprobierenwollen und -müssen perfekt wiedergibt. Ein Buch, das Verständnis zeigt und lehrt, auch für Erwachsene. Denn Spielen ist eine lebensnotwendige und ernste Sache für das kindliche Gehirn. Sich beim Vorlesen und Erzählen daran erinnern zu können, ist ein leises gemeinsames Glück.

Das nächste Mal vorgelesen wird übrigens am 8.11. ab 11 Uhr. Wir freuen uns seitenweise auf euch!

Hier nochmal alle Titel im Überblick: