Lesen an der Grenze des guten Geschmacks: Svea Mausolfs Roman „Image“
Von Johannes Kößler
Es ist eine schöne und entspannende Abwechslung, Bücher lesen zu können, die sich nichts, aber auch gar nichts scheren. Weder um Manieren noch darum, etwas falsch zu machen oder jemanden zu verärgern, ja, manche Autorinnen und Autoren legen es sogar darauf an, ihre Leserinnen und Leser zu verärgern; und tun das mit solch einer Lust und so einem Gefühl, dass du gar nicht anders kannst, als dieselbe Lust und dieselbe Freude zu empfinden.
Früher war Chuck Palahniuk so einer für mich, Autor von „Fight Club“ oder „Lullaby“, für andere wieder, übernimmt Charles Bukowski diese befreiende Rolle. Aber irgendwann wird Palahniuk fad und Pollock ist einfach nur mehr grauslich und du denkst, so, jetzt ist gut, jetzt mal gute Literatur, also gute gute Literatur, also solche über die gesagt wird, dass man sie gelesen haben muss. Goethe, Schiller und die ganzen Brüder. Weil irgendwann ist man dann doch – so glaubt man – zu alt für den Scheiß, für Brüskieren und Ekel, für Gewalt und das System ist schuld, ja, ja. Das Überschreiten der Grenzen des guten Geschmacks war mal lustig, aber jetzt ist man erwachsen und das Land hinter den Grenzen des guten Geschmacks entpuppt sich als geschmacklos.
Und dann, auf einmal ist da Stefanie Sargnagel. Dann ist da auf einmal Barbi Markovic und Liz Nugent und Svea Mausolf. Und schön langsam, tröfperlweise ist mir klar geworden, dass ich Eumel einfach immer nur in die falsche Richtung gegangen bin. Sicher, auf der einen Seite der Grenze da wird es irgendwann fad, aber was ist, wenn wir ganz einfach in die andere Richtung gehen. Wenn wir uns an Autorinnen herantrauen, die wir vorher nicht am Schirm gehabt haben und plötzlich eine Heldin nach der anderen entdecken, die alles richtig machen, aber nicht, weil sie Regeln einhalten, glatt, geschneuzt und gestriegelt sind, sondern weil sie niederreißen, was niedergerissen werden muss, was im Weg steht. Wenn wir plötzlich auf Texte stoßen, die respektlos und wild aber gleichzeitig stilistisch so perfekt getimt sind, dass sie jede Schranke, jede Mauer und jede Grenze einfach sprengen, als wären sie der Road Runner und der Rest des Literaturbetriebs der Coyote.


Svea Mausolf erzählt in „Image“, von Peggy, von Veronique, die nie geliebt hat, von Martin, Peggys Untermieter und von Olivia, einer ungewaschenen Künstlerin. Peggy ist Lesbe, Veronique noch nicht, Martin ein Dreckschwein und Olivia in Martins Zimmer eingesperrt. Peggys Schwester heiratet und will einen Sexartikel-Versandhandel für Christen aufziehen, Martin ist einfach nur grauslich und Veronique… Ach Veronique. Veronique hat die schönste und am besten getaktete Kampfszene überhaupt. Olivia zerstört und stinkt und Peggy ist einfach nur müde, betrunken und müde.
Ich will nichts mehr von Donald Ray Pollock lesen, der erklärt, wie grauslich und schlimm die Menschen sind, nichts mehr von Chuck Palahniuk oder Bela B lesen, die erzählen, wie ausgeflippt und arg sie und wie beschränkt die Gesellschaft ist, ich will keinen Unterricht in Ausflippen mehr, und niemanden mehr, der erklärt, wie man so richtig wild ist. Ich will einfach nur mehr Bücher, die wild sind, respektlos, schön und lustvoll. Bücher von Autorinnen, die so gut schreiben, dass sie packend sind, sogar wenn sie „langweilig“ erzählen wollen. Autorinnen, die dich glauben lassen, du weißt, woher der nächste Schlag kommt und dann, dann wachst du auf, hast du keine Ahnung wo du bist und zwei Tage sind vergangen. Ich will einfach mehr Bücher von Stefanie Sargnagel, Barbi Markovic, Liz Nugent, Svea Mausolf, Katharina Köller, und, und, und hoffentlich noch zahlreichen weiteren Autorinnen mit so unfassbarem Können und ihrer einzigartigen Kunst.
An der Grenze des guten Geschmacks angelangt, kann man einfach weitergehen. Dann wird es irgendwann geschmacklos. Drehst du dich um und fragst dich, wohin du eigentlich die ganze Zeit entlang gegangen bist und wo du hinkommst, wenn du hier links abbiegst, besteht die unglaubliche Möglichkeit, dass du nach Jahrzehnten des Lesens plötzlich noch etwas Neues entdeckst und das ist, bitte Verzeihung, verdammt wunderbar.