# 44 Eigentlich mag ich keine [hier Western oder anderes ‚schambehaftetes Gelüst‘ einsetzen], aber…

Es ist schon eigenartig, dass wir das Gefühl haben, uns für unsere geheimsten und liebsten Vorlieben schämen zu müssen. Warum ist das so und ist das gut so und warum Western?
„Guilty Pleasure“ hat im deutschen, soweit ich weiß, keine direkte Entsprechung. Das liegt, meiner Meinung nach vor allem daran, dass „Gelüste“ oder „Lust“ allein schon schambehaftet sind, „Schuld“, „Scham“ oder „peinlich“ muss da in einem katholisch geprägten Kulturkreis nicht extra dazugesagt werden. Das geht sogar so weit, dass Scham selbst bei manchen lustbehaftet ist, was ich persönlich schon wieder sehr lustig finde. Es ist aber auch zu einfach, dauernd wird gekichert oder verspottet, wenn du dich offenbarst oder zeigst, was dir Freude oder eben Lust bereitet und da red ich noch nicht einmal von den argen Sachen …
Dass das Aufwachsen in diesen Strukturen schwierig ist, ist vor allem dank der verschiedenen feministischen Strömungen aufgearbeitet, Männer hinken da oft weit hinterher – wobei, das ist schwierig und sicher nicht so einfach abzuhandeln. Weil oft liegts auch einfach an der Kommunikation oder dem Fehlen differenzierter Betrachtung.
In schnell wirksamer und dadurch oft populistischer Politik werden traditionelle gesellschaftliche und kulturelle Strukturen und Muster ganz oft – auch von Rezipient:innenseite – mit Werten gleichgesetzt. Das kommt von Korrelation, Kausalität ist hier deswegen aber noch lange nicht vorhanden. Soll heißen: Eine Familie hat Vater, Mutter, Kind – „bitte“ und „danke“ sagen sind beides Werte, die in denselben Kreisen beworben werden, das heißt aber nicht, dass Familien, die anders aufgebaut sind, als „Vater, Mutter, Kind“ keine Manieren haben. Aber das verlangt differenziertes Reflektieren und Nachdenken und wenn alle rundherum schreien und hetzen und pfeifen und johlen und 2000 Reels und Bilder und Posts dazwischen plärren, dann ist es schwierig, sich zu konzentrieren und dann funktionieren Schubladen natürlich besser und sind einfacher zu bedienen. Aber natürlich funktioniert das auch andersrum: Du magst Motorräder, hast eine Glatze und findest die nordische Mythologie super = rechtskonservativ, rassistisch und Umweltschutz ist dir egal. Und pass auf, das ist finde ich auch wieder so eine Sache und es mag alles sein, dass es da Korrelation gibt, also dass viele, die, die nordische Mythologie super und interessant finden, auch im „Blut-und-Erde-Schmonzes“ der Nazis daheim sind, muss aber nicht; dass viele, die Motorräder geil finden, Umweltschutz nicht geil finden, muss aber nicht, ganz und gar nicht und ich brauch jetzt nicht über Glatzen reden …
Dass genau diese Korrelationen natürlich der populistischen und nicht nur der populistischen, sondern prinzipiell der Politik und dem Marketing bekannt sind und zum Beispiel über Social Media instrumentalisiert werden, ist auch klar. Pfuh, jetzt bin ich abgeschweift.
Was heißt das jetzt für mich und meine Western? Für mich und Uschi Glas?
Das heißt, so wie ich das lese: Es ist kompliziert. Und es ist anstrengend, weil: Wir müssen genau hinschauen, ganz genau. Wir müssen „Hallo!“ sagen und „Wie geht’s dir?“ und „Wie siehst du das?“ und „Ok, spannend, ich hab das und das dazu gelesen.“ Ohne, dass wir wütend werden. Es ist anstrengend. Wir müssen hinterfragen, wie der Verfasser oder die Verfasserin das gemeint haben könnte, wo das herkommt und warum so und nicht anders und wir müssen die Position wechseln und versuchen uns vorzustellen, in welcher Situation sich der oder die Andere oder Anderen befinden.
Woher kommt der? Wie lebt die? Was hat die für Erfahrungen? Was hat die für Probleme, was für Herausforderungen? Was finden die gut und was ist für die schön?

Und heißt das, dass, nur weil er Western unterhaltsam findet, er Morden und Tod und Krieg, gutfindet? Und heißt das, weil die Boulevard-Presse geschrieben hat, dass Uschi Glas das N-Wort gesagt hat, dass…? Nein, heißt es nicht. Das kann ich erst wirklich sagen, wenn ich genau hingeschaut hab, wenn ich nachgefragt und nachgelesen, wenn ich mich informiert und auf die andere Person zugegangen bin. Ich sags ja, anstrengend.
Aber grade dann, wenns uns am meisten aufregt, grade dann, wenn wir am liebsten der anderen Person ins Gesicht springen wollen, dann, aufhören, nachdenken, nochmal nachdenken, nachfragen. Das ist schwierig, aber sich davor nicht zu scheuen, ist finde ich eine große Herausforderung und daran lässt sich auch der Wert journalistischer Arbeit gut bewerten: Wie genau haben die nachgefragt? Wer schreibt da? Wo kommt der her? Was will der? Gibt’s Quellenangaben? Gibt es Angaben zu den Befragten; zu den Nachfragenden?
Das, was da versteckt liegt, hinter den Geschichten, die wir wahrnehmen, ob geschrieben oder in bewegten Bildern, sind wieder Geschichten. Was uns entgeht, wenn wir nicht nachfragen, wissen wir erst, wenn wir hingesehen haben. Ein Beispiel ist Harry Potter, wo so gut wie jeder Trinkbecher im Licht einer, von der Autorin recherchierten, mythologisch ausstaffierten, magischen Aura erstrahlt.

Dass es da etwas gibt, gefällt mir außerordentlich und diese Mehrdimensionalität halte ich für ausschlaggebend und zentral, damit etwas gute Literatur oder eine gute Geschichte wird (egal welche Ziel- oder Altersgruppe). Das heißt aber noch lange nicht, dass mir alles gefallen muss, was ich da hinter den magischen Türen und Wandpaneelen finde. Weil wenn nicht, dann muss Pferd (metaphorisch), Colt (metaphorisch) und High Noon und dann RabimmelRabammelRabumm. Aber vorher nachdenken und nachfragen, immer. So anstrengend, oida. Aber so wichtig.
(Sehr, sehr interessant und spannend in dem Zusammenhang ist auch „Cop und Che“ von Edith Meinhart, Mandelbaum Verlag)
Was das alles mit Guilty Pleasure zu tun hat, ist schnell ausprobiert: Vervollständige in Gedanken diesen Satz: „Nur, weil wer Western mag, muss er noch nicht…“ oder „Der liest Romance, der ist…“, „Die liest Horror, die ist…“, „Die hat noch
nie ein Buch gelesen, die ist…“ etc. Das kann man ewig weiterspielen. Und hin und wieder ist es auch ganz spannend, wenn man das bei den eigenen „Guilty Pleasures“ macht. „Ich mag Western, weil…“. „Ich lese gern Anarcho-Sci-Fi, weil…“, „Ich liebe langsame, leise Romance, weil…“
Uns als Buchhändlerinnen ist das ehrlich gesagt relativ egal, was wer liest, was wer super findet und wie viele Bücher du schon gelesen hast. Oder egal ist vielleicht das falsche Wort. Es geht uns nur insofern was an, als wir hoffentlich das richtige für dich da haben, um deine Lieblings-Lese-Gelüste befriedigen zu können, um deine Wünsche und Vorstellungen erfüllen zu können. Die Informationen, die du dabei weitergibst, bleiben unter uns. Kein Algorithmus, keine KI, kein Programm und kein Controller bekommt diese Daten. Nur deine Buchhändlerin, dein Buchhändler und du. Das ist ganz schön geheim und ganz schön schön. Danke.
Western (mit Nachdenken und spannend):
- Blutch, Goscinny, Morris: „Lucky Luke – Die Ungezähmten“
- Sebastian Barry: „Tage ohne Ende”
- Sebastian Barry: „Tausend Monde“
- Elmore Leonard: “Letztes Gefecht am Saber River“
- Towander Flagg: „Der Galgen fragt nicht, welcher Hals“
- Anna North: „Die Gesetzlose“
- R.J. Palacio: „Pony“
Und:
- Edith Meinhart: „Cop und Che“
- Uschi Glas: „Ein Schätzchen war ich nie“
- Mehwish Sohail: „Like Water in your Hands“
- Mehwish Sohail: “Like Words on your Skin”