Aspergers Schüler
von Laura Baldini/ Beate Maly
Mit „Aspergers Schüler“ hat sich die Donaustädter Autorin Beate Maly weder ein leichtes noch ein Wohlfühl-Thema vorgenommen, jedoch auf jeden Fall ein packendes und zweifellos wichtiges.
Hat sich der prominente Trend „Biografische Romane“ zu schreiben und zu veröffentlichen, schon längst wieder vom romantisierten Wohlfühlbuch wegentwickelt, so scheut Beate Maly, routiniert und recherchefest, wie wir das von ihren Büchern gewohnt sind, auch vor dieser durchaus schwer zu bewertenden Person und ihren vielschichtigen Themen nicht zurück.
Dr. Hans Asperger, vielen bekannt als Namensgeber des – spätestens durch den 1988 veröffentlichten Film „Rain Man“ – berühmt gewordenen Asperger-Syndroms, das einen Teil des Autismus-Spektrums beschreibt, in dem Menschen mit Autismus eine besondere Inselbegabung in einem bestimmten Bereich aufweisen, wie zum Beispiel Mathematik oder Komposition. Asperger arbeitete Anfang des 20. Jahrhunderts in der neu gegründeten Heilpädagogischen Abteilung des Wiener AKH.
Diese Abteilung war ein außergewöhnliches Novum dieser Zeit, da erstmals Pädagogik und Therapie gemeinsam gedacht wurden. Für unsere heutigen Verhältnisse sind die Zustände immer noch unvorstellbar, und genau hier kommen wir an einen extrem wichtigen Punkt: den Kontext.
Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie schwierig es Beate Maly gefallen sein muss, über Asperger zu schreiben. Der Arzt und später Leiter der oben genannten Abteilung war anscheinend ein über alles regel- und gesetzestreuer Katholik, der während der Zeit der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten in einer Institution arbeitete, aus der zahlreiche Menschen und Kinder in den Tod geschickt wurden. Aspergers Rolle bei diesen Fällen ist schwierig zu bewerten und unmöglich zu durchschauen, überwies er doch selbst Kinder in die Klinik Am Spiegelgrund, in der über 800 Kinder von den Nazis, von Ärzten ermordet wurden. Doch selbst hier ist nicht klar, ob und wie sehr er beteiligt, ja, Mitwisser war.
Drei Perspektiven wählt Beate Maly, um über Aspergers Arbeit zu schreiben und bezieht auch damit klar Position. 1986 kommt die Studentin Sarah aus England nach Wien, um im Auftrag von Dr. Lorna Wing, der Gründerin der britischen National Autistic Society, zur Arbeit Dr. Hans Aspergers zu forschen. Wien wie auch ganz Österreich, damals erschüttert vom Waldheim-Skandal und dem Prozess rund um Friedrich Zawrel verdrängt die Nazi-Vergangenheit noch immer größtenteils und verweigert sich einer Aufarbeitung. Sarah wird an der Wiener Universität untergebracht und versucht mithilfe ihrer Mitstudenten und Mitstudentinnen und ihres Umfelds dem Wiener Arzt und seinem Vermächtnis auf die Spur zu kommen. Nicht nur aus wissenschaftlichen oder aus Karriere-Interessen. Es steckt mehr dahinter.
In den 30ern- und 40ern des 20. Jahrhunderts folgen wir lesend Erich, einem autistischen Jungen, der in der heilpädagogischen Abteilung untergebracht ist und Victorine Zak, einer Krankenschwester und Mitarbeiterin Aspergers. Erich selbst wurde von der Autorin erfunden, mit Victorine Zak schreibt Beate Maly über eine Person, die tatsächlich existiert hat und in den letzten Tagen während eines Fliegerangriffs getötet wurde.
Beate Maly, selbst seit Jahren in der Heilpädagogik tätig, hält während des gesamten Buches einen beeindruckend sachlichen Tonfall, ohne jedoch persönliche Nähe und Details zu verhindern oder auszusparen und schafft es dadurch das Thema überhaupt rezipierbar zu machen.
Weder finden sich Überdramatisierung noch vorschnelle Beurteilung in „Aspergers Schüler“ und doch ist es mithilfe der Autorin zweifellos einfacher sich diesem schrecklichen Kapitel der österreichischen Geschichte anzunähern. Beate Maly erzählt von den Menschen und vergisst weder die Leben, noch die Daten und Fakten und vereint so, was gute Literatur ausmacht. „Aspergers Schüler“ ist eine unbedingte Lese-Empfehlung und Erinnerung, auf dass wir nie vergessen, was es für uns alle bedeuten kann, wenn der unmenschliche und faschistische Terror erneut die Zügel in die Hand bekommen sollte.
Piper 2023
978-3-492-07185-7
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