#29 Männer töten

#29 Männer töten

Ich möchte mich vorab entschuldigen, dass ich hier nur von der Dualität Mann/Frau schreibe und nicht auf die gesamte Palette der Geschlechter und Identitäten eingehe, in dem Rahmen würde das sehr viel Recherche und sehr viel mehr Platz brauchen. Unter Mann und Frau sind hier jene gemeint, die sich selbst als solche identifizieren, unabhängig von deren biologischem Geschlecht.

… Natürlich ist das nicht in Ordnung. Also Männer zu töten. Aber Frauen töten ist auch nicht okay. Aber Männer werden auch getötet! Aber Frauen auch. Aber Frauen töten auch Männer! Sogar auch ihren Expartner! Aber Männer machen das auch. Und so weiter und so weiter.

Diskussionen darüber, was Frauen alles auch machen, nicht nur die Männer, können Mann und Frau ganz wunderbar in Foren, wie beispielsweise dem Standard-Forum unter feministischen Artikeln, nachlesen. Klar, Verbrechen gibt es überall und ist nicht an ein Geschlecht gebunden. Allerdings gibt es einen Begriff für Morde an Frauen, die begangen werden, weil das Opfer eine Frau ist: Femizid. Gewalt an Frauen, weil Frauen Frauen sind und aus keinem anderen Grund, ist ein (no na ned) großes Problem. Laut den AOEF (Autonome Österreichische Frauenhäuser) ist jede dritte Frau von Gewalt und jede fünfte Frau von Stalking betroffen, die Zahl der Frauenmorde ist erschreckend, denn im Jahr 2022 waren es 29 Todesopfer. Dieses Jahr sind wir schon bei 19 Frauenmorden.*
Ich persönlich kenne keine Frau in meinem Alter, die nicht sexuell belästigt wurde. Was für eine traurige Bilanz für ein Land, das doch gleichberechtigt sein möchte.

Genug der erschreckenden Zahlen.

Gestern war ich laufen. Keine 300 Meter von meiner Wohnung entfernt stehen zwei Herren, wohl so zwischen 50 und 60 Jahren, und unterhalten sich. Als ich etwa zwanzig Meter entfernt bin, halten sie inne. Und starren. Mich an. Ich laufe weiter. Und sie starren. Ich laufe an ihnen vorbei. Sie starren. Ich laufe weiter. Und drehe mich nicht um. Weil ich kann mir vorstellen, dass sie mir noch die nächsten zwanzig Meter nachschauen werden. Warum ist das so? Ist es nicht wahnsinnig eigenartig, wenn man im Gespräch ist mit einem Freund oder Kollegen oder Cousin oder whoever (ich bleibe absichtlich nur bei der männlichen Form), und dann einfach so eine Minute lang aufhört miteinander zu sprechen, weil OH MEIN GOTT!!! DA IST EINE FRAU! ? Finde ich ärgerlich. Ich rege mich deswegen so auf, weil das kein Einzelfall ist. Es ist mir schon sehr oft passiert und man kann das auch sehr gut einfach auf der Straße beobachten. Ist unangenehm. Und in keiner Weise, in keinem Universum, ist das ein Kompliment.

Aber für Frauen im öffentlichen Raum, also Frauen, die sich in der Öffentlichkeit bewegen, gelten nicht die gleichen Regeln, wie für Männer. Denn eine Frau im öffentlichen Raum ist Allgemeingut. Ansprechen, anpöbeln, anstarren, angrapschen, alles vermeintlich erlaubt. Natürlich ist ansprechen kein Problem, es ist in den meisten Fällen auch bestimmt nicht böse gemeint, ABER manchmal will man einfach nicht angesprochen werden, wenn das Ansprechen ein „kann ich deine Nummer haben“ o.ä. beinhaltet. Ein „nein“ führt dann auch oft dazu, dass auch noch gefragt wird, warum nicht. Und die Situation wird immer nerviger und unangenehmer. Und dann ist der arme Bert gekränkt, weil er eine genervte Abfuhr erfahren musste, obwohl er doch total nett war. Leider ist Bert nur einer aus einer Reihe von Berts, die schon genau dasselbe gemacht haben und leider ist es irgendwann nervig. Viele Männer verstehen das vielleicht nicht, aber ich glaube, dass viele Frauen ähnlich denken. (Oder nicht und meine Rage kann niemand nachvollziehen.)

Einmal wurde ich angesprochen, weil diese Person meinen Fahrradhelm cool fand. Und dann haben sich unsere Wege wieder getrennt. Es wurde ein konkretes Kompliment gemacht und dann hat man sich einen schönen Tag gewünscht. Das war eine schöne Erfahrung. War halt kein Mann, sondern eine Frau. Was in meinem Fall sowieso mehr Wirkung hatte.

Eine Person, die, glaube ich, meine Rage nachvollziehen kann, ist die Autorin Eva Reisinger. Vor kurzem ist ihr Debüt-Roman erschienen, der heißt „Männer töten“. Auch wenn der Titel ziemlich aggressiv klingt, das Buch ist es nicht. Man hat vielleicht bemerkt, dass ich eine gewisse Wut gegenüber dem ungerechten Geschlechterverhältnis empfinde, weshalb dieses Buch mit diesem Titel mich sofort angesprochen hat. Beim Lesen wars dann aber so, dass ich nicht, wie erwartet, noch wütender wurde, sondern im Gegenteil, ich fühlte mich ziemlich entspannt. Denn die Autorin beschreibt eine feministische Utopie. Das ist übertrieben. Sie beschreibt die Idee einer feministischen Utopie, die gerade umgesetzt werden soll und entsprechend ist noch einiges zu tun. Es geht um ein kleines oberösterreichisches Dorf, in dem Frauen die wichtigen Aufgaben übernehmen und auch Namensgeberinnen der Familien sind. Es gibt eine Bürgermeisterin und sogar eine Pfarrerin. Männer sind generell in der Unterzahl. Ein bisschen merkwürdig ist das Dorf schon, aber als Frau kann man sich wohl fühlen. Vor allem, wenn man gerade vor dem toxischen Ex aus Berlin flieht und sowieso genug von der Clubszene hat. So wie Anna Maria. Die in so einem Berliner Club den ruhigen, naturverbundenen Hannes kennenlernt, der in dieser feministischen Utopie-Idee wohnt. Kurzerhand zieht Anna Maria nach Österreich. Zu Hannes.

Was es dann tatsächlich mit dem Titel auf sich hat, verrate ich natürlich nicht. Es ist auf jeden Fall nicht so wild, wie man es sich vorstellt. Dahingehend hätte sich die Autorin ruhig ein bisschen mehr trauen können, da hätte es noch mehr zu fetzen geben. Das Buch ist tatsächlich Wohlfühllektüre für einen schönen Lesenachmittag. Nicht grauslich, nicht aggressiv. Einfach gut geschriebene, originelle Wohlfühllektüre. Für Männer und Frauen und alle dazwischen und außen herum. Hat mir sehr gut gefallen und mich wieder etwas beruhigt. Also ein voller Erfolg!

Viel Spaß beim Lesen!
Anna

* https://www.aoef.at/index.php/zahlen-und-daten (Zugriff: 13.10.)


Leykam 2023
978-3-7011-8297-8

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