#28 Das Unverstehbare
von Bettina
Anfang Oktober haben mein Partner und ich am Morgen eine schreckliche Nachricht erhalten. Der Sohn seines Bruders ist in der Nacht mit dem Auto tödlich verunglückt. Woom, macht es da, Entsetzen macht sich breit und man braucht einige Minuten, um das Gelesene zu verstehen, in seiner absoluten Endlichkeit. Nur 26 Jahre alt ist er geworden, wie ungerecht und wie grausam, das sind die ersten Gedanken.
Ich stelle mir die Frage, warum mich diese Nachricht so dermaßen erschüttert. Ich habe den jungen Mann nur zweimal in meinem Leben gesehen und vielleicht zehn Sätze mit ihm ausgetauscht. Ich vermisse ihn nicht, also warum beschäftigt mich dieser Tod so sehr? Dann denke ich an den Vater und kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie groß sein Schmerz ist und wie man das nur ansatzweise aushalten kann. Ich stelle mir dann auch gleich vor, wie es wäre, wenn mein Sohn sterben würde? Ich denke an meinen Partner und sehe, wie hart es ihn trifft, dass sein Bruder dieses grausame Schicksal durchleben muss. Ich denke daran, wie es wäre, wenn ich einen Autounfall hätte?
Die Antwort steht im Raum, denn mit jedem Tod eines anderen, rückt der eigene, unausweichlich, immer näher. Der wunderbare Autor Urs Widmer hat einmal gesagt und ich zitiere: „Der Tod bleibt der Skandal allen Lebens. Nichts, nichts, nichts ist unverstehbarer als der Tod“.
Ich habe schon viel über den Tod und das Sterben gelesen. Das letzte Buch „Was bleibt, wenn wir sterben – Erfahrungen einer Trauerrednerin“ von Louise Brown hat mir wieder einen ganz neuen Aspekt gezeigt. Louise Brown wird Trauerrednerin, nachdem sie ihre beiden Eltern verloren hat. Sie erzählt über ihre Stunden mit den Familien, in denen sie großen Verlust erlitten haben, wie verschieden Trauer sein kann, wie wichtig und tröstlich Rituale sein können. Vor allem ist es aber auch eine Hommage an das Leben. Denn Fakt ist, je bewusster mir der eigene Tod ist, desto bewusster kann ich auch mein Leben gestalten. Ich hab nur das eine und das kann ganz schnell vorbei sein.
Nun ist auch ein Trauerjournal von Louise Brown erschienen. Hier stellt die Autorin vorsichtige Fragen, können gemeinsame Erinnerungen niedergeschrieben werden und mit kleinen Aufgaben ermutigt Louise Brown sich mit der eigenen Trauer auseinanderzusetzten und sie nicht zu verdrängen. Ein wunderbares Buch, das man immer wieder hernehmen, beschreiben und auch wieder weglegen kann, wenn es einem zu viel wird.
Das Begräbnis vor Kurzem war unglaublich traurig. Aber als ich am Grab die vielen Menschen sah und wie sie sich verabschiedet haben und dem Vater, der Mutter und dem Sohn Trost gespendet haben, war ich überwältigt, wie viel Liebe hier an diesem Ort war, in diesem Moment, und das war ein sehr schönes, Gefühl.
Diogenes 2021
978-3-257-07176-4
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Diogenes 2023
978-3-257-07244-0
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