#2 Schach mit Stefan Zweig und David Sala
Ich erinnere mich noch an meine erste Begegnung mit Stefan Zweig: Eine Bekannte hat erzählt, dass die „Schachnovelle“ ihr Lieblingsbuch wäre. 13-jährig und neugierig, wie ich eben war, durchstöberte ich sofort die familiären Buchbestände. Lange musste ich nicht suchen. Da war sie: Die „Schachnovelle“. Uralt, mit vergilbten Seiten und ein bisschen zerfleddert. Altes-Papier-Geruch. Und nicht so dick. Diese Menge Buch würde ich schaffen, da war ich sicher …
Ein paar Stunden später war ich dann auch fertig damit. Verstanden hab ich gar nichts und schon überhaupt nicht, warum dieses Buch ein Lieblingsbuch war. Vor allen, die gefragt und nicht gefragt haben, habe ich schlussendlich aber behauptet, das Buch wäre mein Lieblingsbuch. Es war immerhin das Lieblingsbuch einer intelligenten, erwachsenen Person. Genauso wollte ich auch sein.
Heute ist die „Schachnovelle“ immer noch nicht mein Lieblingsbuch. Aber definitiv eines davon. Mein Lieblingsbücherherz gehört „Die Welt von gestern“ – auch von Stefan Zweig. Aber darum geht es nicht, Lieblingsbuch hin oder her, hier geht es um die Faszination Schach!
Nun ist Zweigs „Schachnovelle“ nicht gerade eine Novität, zumindest nicht in der Form, wie man sie kennt. Aber die Graphic Novel „Schachnovelle. Nach Stefan Zweig“ von David Sala ist neu. Und großartig! In vielerlei Hinsicht!
Wir beginnen unseren Trip in die Vergangenheit auf dem Promenadendeck eines Passagierschiffs Richtung Argentinien. Der Ich-Erzähler, der namenlos bleibt, unterhält sich mit einem anderen Reisenden. Der Blick führt hinaus aufs Meer, während das Schiff langsam den Heimathafen verlässt. Der große Schachweltmeister Czentovic ist ebenfalls an Bord. Lange lässt die erste Schachpartie nicht auf sich warten: Einige Zigarre rauchende Herren, wichtig aussehend, spielen gemeinsam gegen den Weltmeister. Das Turnier – ich hoffe, das ist die richtige Bezeichnung für ein offizielles Schachspiel – endet in einem Remis. Ja, ist denn das die Möglichkeit? Natürlich, denn einer der Passagiere hat eine düstere Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die ihm angetan wurde. Die ihn einsperrte und zerstörte. Und zum Meister des Schachspiels machte.
Über den Inhalt möchte ich an dieser Stelle gar nicht mehr erzählen. Zwar nehme ich an, dass einige die Geschichte der „Schachnovelle“ kennen – schließlich ist das Buch bis heute Schullektüre (berufsbedingt weiß ich das zufällig genau) und letztes Jahr ist auch ein Kinofilm erschienen, außerdem ist es einfach ein tolles und wie ich schon als Kind festgestellt habe, nicht sehr dickes Buch, also schnell mal gelesen – aber trotzdem: Es gilt das Spoilerverbot.
Viel mehr möchte ich auf Salas Umsetzung des Textes eingehen. Die Graphic Novel kommt mit wenig Sprache aus, sie arbeitet stattdessen mit einer unglaublichen Bildgewalt. Nun sagen vielleicht die ein oder anderen: Ist doch klar, bei einem Comic. Nein, ist nicht immer so. Einige Comics und Graphic Novels brauchen enorm viel Sprache. Aber nicht die „Schachnovelle“. Durch verschiedene Panelgrößen, also Bildgrößen, Close-ups und Weitwinkelbilder bekommt man einerseits die große Freiheit, die am Schiff möglich scheint, und andererseits die atemberaubende Enge der Gefangenschaft, in der sich der geheime Meister des Schachs immer noch befindet, zu spüren. Salas Aquarelltechnik unterstützt dabei die Stimmung und fängt die Zeit, die er erzählt, in einzigartiger Weise ein. Kontraste spielen dabei eine große Rolle. So hebt sich Kleidung einmal deutlich vom Hintergrund ab und ein anderes Mal verschwimmen Menschen und Häuser, Böden und Wände ineinander. Ähnlich einem Schachbrett, das mit seiner schwarz-weißen Farbgebung seine Felder klar voneinander trennt, aber zugleich schwammig wird, wenn es ums Gewinnen oder Verlieren geht.
Das Schachbrett wird bei Sala zum Sinnbild des Wahnsinns. Übermächtig und chaotisch nimmt es die Erzählung ein und führt sie zum Höhepunkt, wo es starr verharrt und den geheimnisvollen fremden Schachspieler niederringt.
Nach der Lektüre der Graphic Novel war ich – an dieser Stelle muss ich tatsächlich überlegen, wie ich denn war – berührt. Berührt und aufgeregt traurig. Einerseits traurig über die Geschichte selbst und traurig, weil ich fertig war. David Sala erzählt die „Schachnovelle“ in wunderbarer Weise nach und macht sie zu etwas Neuem. Eigenem. Als großer Stefan-Zweig-Fan ist man natürlich kritisch über Variationen seiner vielen Klassiker – hier war ich das nicht. Gesehen, verliebt, gelesen und noch mehr verliebt. Eine großartige und spannende Ergänzung in der Zweig-Büchersammlung!
Mein 13-jähriges Ich wäre begeistert gewesen. Vielleicht. Verbleiben wir Remis?
Viel Freude beim Lesen,
Anna
Schachnovelle
von David Sala
Bahoe Books 2023
978-3-903478-05-3
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