#39 Im Antoniusfeuer mit Johannes und Monika Geier …

#39 Im Antoniusfeuer mit Johannes und Monika Geier

Eine Kommissarin, die vom ersten Auftreten an sympathischer ist, als das Gros der Hauptverdächtigen. Ein Dorf, das all jenen am Land Aufgewachsenen nur zu bekannt ist, und Einwohner, die man sein Leben lang kennt, die man immer schon gegrüßt hat. Den meisten hat man ungefragt ein Gesicht gegeben, bevor ihr erster Satz fertiggelesen ist …
Bettina Boll, Ermittlerin in Teilzeit ist im Garten beschäftigt. Das Haus von ihrer verstorbenen Tante geerbt, die Kinder in der Nachbarschaft oder in den Räumen der Villa verstreut, sie sind alt genug und irgendwer muss hier Ordnung machen, bevor es wieder verkauft wird, weil leisten kann sich das niemand, der auf ehrliche Weise zu seinem Geld gekommen ist.

Monika Geier spielt mit dieser Szene gleich zu Anfang ihren Trumpf aus und sagt damit für den Rest des Spiels die Farben an. „Bonjour Tristesse“ heißt das Spiel, das Ziel ist Ausbrechen, um jeden Preis, auch wenn der Einsatz das Leben ist, nicht zwangsläufig das eigene.

Keine Sorge, es geht nicht um illegales Glückspiel, keine Spoiler in dieser Rezension!

Das ganze Elend beginnt mit dem Selbstmord eines Mörders, einem katholischen Altarbild in seinem Koran und einem Jugendseelsorger aus einem nahegelegenen Dorf, der seine Kompetenzen überschritten hat, weil er versuchte, dem zweifellos vom Bösen Besessenen, seine Dämonen auszutreiben.
Bettina Boll, die erst vor Kurzem ihren korrupten Vorgesetzten das Handwerk gelegt hat, wird, vordergründig aufgrund von Personalmangel hinzugezogen, der ehemalige Kollege – jetzt plötzlich ihr Vorgesetzter – buckelt nach oben und tritt nach unten. Wohlgemerkt aus Angst etwas falsch zu machen, aus falsch verstandener political correctness, aus Angst, vor rechter Gewalt und linker Schelte, soll nach allen Regeln und genauestens ermittelt werden. Bettina kennt ihren Kollegen und seine Furcht, besser macht es das beileibe nicht, denn der eigentlich zuständige Kollege nichteuropäischer Abstammung wird aus o.g. Gründen übergangen, der Grund ist dem Effekt egal und der Effekt sind innerpolizeiliche Ermittlungen, verletzter Stolz und zerstörtes Vertrauen, die ganze Palette kleinkarierter Höllenqualen also. Boll entflieht denselben – erzwungenermaßen – im Rahmen der Ermittlungen in die Heimatpfarre des Seelsorgers. Er soll bloß keine Interviews geben, einfach nur die Füße stillhalten. Konfrontiert mit dem Suizid seines Schützlings verschwindet der Seelsorger kurz darauf, angeblich in die „Wüste“, den Verein für Suizidprävention, in dem er tätig war. Angekommen scheint er dort jedoch nicht zu sein, weshalb die Schwester des ehemaligen Pfarrers seine Pflichten übernehmen muss, als hätte sie mit einem schwerkranken Sohn, der im Rollstuhl sitzt, einer Tochter im Entzug und deren zweijähriger Enkelin, die aus Berlin abgeholt und in Obhut genommen werden soll, nicht schon genug zu tun.
Doch dann entdeckt die holistischgläubige Kräuterfachfrau, Atemtrainerin und Kirchenputzfrau, dass Jesus aus der Kirche verschwunden ist und zu allem Überfluss scheint im viel zu großen und viel zu alten neuen Haus von Bettina und den Kindern des Nachts jemand herumzuschleichen.

Antoniusfeuer“ lesen zu dürfen ist, wie beim Preisschnapsen im Publikum zu sitzen. Man sieht die ausgespielten Karten, man denkt, jetzt weiß man, wer noch welche Trümpfe auf der Hand hat, wer ein Bummerl haben wird, wer aus dem Schneider ist, aber das täuscht, das täuscht alles und so lange, bis nur mehr eines klar ist – wer untergehen wird, wer verloren hat. „Bonjour Tristesse“ heißt das Spiel, es herrscht Farb- und Stichzwang und ausgespielt muss werden, auch wenn der Ausgang klar und letztendlich unvermeidlich scheint.

Monika Geier lässt die Kirche im Dorf, auch wenn das nicht üblich ist, das Drama, das Böse ist nie größer, als der Tisch auf dem gespielt wird, doch wie so oft vergessen wir, dass Gut und Böse, ebenso wie die menschliche Vorstellungskraft nicht an unsere kleingeistige Welt gebunden sind. Niemand kann sie zählen, niemand kann sie wiegen, niemand kann ermessen und der Grund ist dem Effekt egal. „Antoniusfeuer“, ausgezeichnet mit dem deutschen Krimipreis 2023, ist ein herzenskluges Buch, das einmal mehr alle Facetten des alltäglichen Wahns durchmisst, in einem Atemzug, ohne zu zögern und ohne wegzusehen. Gibt es eine Mehrzahl von Wahn? Ich weiß es nicht …
… aber wenn, dann finden wir sie im Antoniusfeuer.


Antoniusfeuer
Monika Geier
Argument 2023
978-3-86754-270-8

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